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Fakten und Hintergründe zum Film "Verblendung"

Fakten und Hintergründe zum Film "Verblendung"

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Über die Produktion

VERBLENDUNG ist der erste Film in einer Reihe von Leinwandadaptionen von Stieg Larssons Bestseller-Trilogie „Millennium“. Von der epischen Thrillerreihe wurden in 48 Ländern 62 Millionen Exemplare verkauft. Der erste Teil der Serie wurde 2005 veröffentlicht, kurz nach dem Tod des Autors. Darin machten Leser auf der ganzen Welt erstmals Bekanntschaft mit dem unbestechlichen Wirtschaftsjournalisten Mikael Blomkvist und der radikalen Hackerin Lisbeth Salander.

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Mit Salander hat Larsson eine Heldin geschaffen, wie sie einzigartig ist in der vielfältigen Welt des Thrillergenres – ein Wunderkind mit dem Äußeren einer Punkerin, deren Auftreten allein den Menschen nahelegt, sich besser nicht mit ihr anzulegen. Ihr Umgang mit anderen Menschen ist sie nicht gerade das, was man als „normal“ bezeichnen würde. Aber ihre Seelenverwandtschaft zu anderen Frauen, denen Schmerzen zugefügt wurde, bewegt sie dazu, Mikael beizustehen, das Verschwinden von Harriet Vanger aufzuklären. Ihr Streben nach Vergeltung und ihre heikle Partnerschaft mit Mikael stecken im Kern von VERBLENDUNG – und den beiden Romanen, die folgten: VERDAMMNIS und VERGEBUNG.

Regisseur David Fincher und Drehbuchautor Steven Zaillian machten es sich zum Ziel, Larssons unbeirrbarem Fokus auf die wirtschaftliche, gesellschaftliche und persönliche Zersetzung, mit der Mikael und Lisbeth konfrontiert werden, je tiefer sie sich mit der Frage befassen, was hinter Harriet Vangers Verschwinden stecken könnte, gerecht zu werden. Zaillian ließ sich unmittelbar von Larssons Worten inspirieren. „Das Drehbuch ist aus demselben Stoff geschnitten wie der Roman“, sagt Fincher. Beiden war bewusst, dass die Notwendigkeit bestand, die ausufernde Handlung der Vorlage für den Film zu komprimieren. Also legten sie ihren Fokus auf das, was die „Millennium“-Romane für Leser auf der ganzen Welt so reizvoll machte. „Am meisten interessierten wir uns für diese beiden Figuren, Blomkvist und Salander. Sie haben diese Bücher international zu einem Phänomen gemacht, dem man sich nicht entziehen kann“, erklärt Fincher. „Da steckte viel Saft drin, jede Menge Reibung, eine Unmenge an dramatischen Möglichkeiten.“

Zaillian fügt hinzu: „Lisbeth ist eine großartige, ungewöhnliche Figur, aber ich glaube, dass die Bücher niemals so gut funktionieren würden, wenn es tatsächlich nur um sie ginge. Die Art und Weise, wie die Geschichten von Blomkvist und ihr zusammengeführt werden und was sie gemeinsam durchmachen, macht den nachhaltigen Reiz der Romane aus.“

Fincher und Zaillian hatten kein Interesse, die bisweilen schwer zu ertragende Härte mancher Szenen des Buches, in denen es um Brutalität und Rache geht, abzuschwächen. „Wir verschrieben uns der Aufgabe, dass dies ein Film über Gewalt gegen Frauen sein sollte, über besondere Arten der Erniedrigung, und da darf man auch keine Scheu davor haben“, sagt Fincher. „Gleichzeitig muss man den rasiermesserscharfen Balanceakt hinkriegen, das Publikum einerseits geradezu körperlich das Bedürfnis nach Rache spüren zu lassen, es andererseits aber auch mit der außerordentlichen Kraft der Ideen zu konfrontieren, die wir rüberbringen wollen.“

Genau das war Larsson in seinen Romanen gelungen. Er involviert seine Leser im Verlauf von Mikaels und Lisbeths Nachforschungen auf eigener Faust ganz unmittelbar mit seinen Themen: korrumpierte Macht, Misogynie, Intoleranz, Fanatismus, Globalisierung, soziale Wohlfahrt, Gerechtigkeit und Verurteilung. Rooney Mara, die sich die Rolle der Lisbeth Salander sichern konnte, meint: „Ich glaube, die Menschen sind von den Untiefen der Gesellschaft mehr fasziniert, als sie es sich eingestehen wollen. Es besteht ein Interesse an den dunklen Geheimnissen, die andere Menschen und Gesellschafen verbergen. VERBLENDUNG trägt dem Rechnung – und hat zwei Außenseiter als Helden, die weltweit von den Lesern geliebt werden.“

Produktion: Rolle des Mikael Blomkvist

So, wie Stieg Larsson bis kurz vor seinem Tod, ist auch die Figur des Mikael Blomkvist ein investigativer Journalist, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Korruption in den oberen Etagen der Finanzwelt und der Regierung aufzudecken. Als Mitbesitzer des Hochglanzmagazins „Millennium“ kann man ihn kaum als Aktivisten bezeichnen, aber er steht durchaus im Ruf, im Rahmen seiner Ermittlungen übers Ziel hinauszuschießen und sich in legale Schwierigkeiten und bisweilen auch in Lebensgefahr zu bringen. Für diese Rolle wählte Fincher den britischen Schauspieler Daniel Craig, dessen ausgewogene Mischung aus Tiefgang und Charme ihm die Rolle des James Bond in den Filmen Casino Royale (Casino Royale, 2006) und Quantum of Solace (Ein Quantum Trost, 2008) eingebracht hatte.

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„Wenn man ehrlich ist, dann ist es Blomkvists Film, denn er ist es, der uns die Türen öffnet“, meint Fincher. „Er ist die konventionellere Figur, und Lisbeth ist der Satellit, der um ihn kreist. Für die Rolle brauchten wir jemand wie Daniel, der auf der Leinwand seine ganze Ausstrahlung entfaltet, aber auch gottgegebenes Schauspieltalent besitzt. Er ist so gut, dass man all seine Nuancen ausschöpfen kann.“

Wie so viele Menschen hatte Craig VERBLENDUNG bereits kurz nach seiner Veröffentlichung gelesen, als sich der Roman gerade zum Phänomen zu entwickeln begann. „Jemand drückte mir für den Urlaub eine Kopie in die Hand, und ich hatte sie nach zwei Tagen durchgelesen“, erinnert er sich. „Es ist eines dieser Bücher, das man nicht mehr weglegen kann. Man kann sich des untrüglichen Gefühls nicht erwehren, dass in jedem Moment gleich etwas Schreckliches passieren wird. Ich glaube, das ist einer der Gründe, warum die Bücher so erfolgreich sind.“

Schon damals fühlte er sich wie magisch angezogen von Lisbeth Salander. „Obwohl sie das Opfer sexueller Gewalt ist, lässt sie sich psychologisch nie in die Rolle des Opfers zwängen. Das finde ich wahnsinnig interessant“, überlegt der Schauspieler. „Ihre Stärke und ihr Vermögen, Schläge einzustecken, wieder aufzustehen und weiterzumachen, spricht die Leute ganz unmittelbar an.“

Das Buch ließ Craig zwar nicht mehr so recht los, aber schließlich gab das Kreativteam, das es auf die Leinwand bringen wollte, den Ausschlag für Craig, den Blomkvist tatsächlich spielen zu wollen. „Es war ohnehin eine gute Geschichte, aber die Kombination von David Fincher als Regisseur und Steven Zaillian als Drehbuchautor machte das Projekt schließlich unwiderstehlich für mich“, sagt er. „Ich hatte Vertrauen in das Material und Vertrauen in ihre visuellen Ideen.“

Von Anfang an verspürte er eine Seelenverwandtschaft mit Blomkvist. „Mir gefällt seine Einstellung, mir gefällt seine Politik, mir gefällt, dass er so durcheinander ist, aber eben auf eine sehr interessante Weise“, merkt Craig an. „Er kämpft den guten Kampf, versucht Korruption aufzudecken und ein einflussreicher Journalist zu sein, wenn das überhaupt noch möglich ist.“

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Steven Zaillian war höchst beeindruckt, wie mühelos Craig in die Rolle schlüpfte. „Blomkvist ist ein Typ, der nicht ganz so hart ist, wie er es gerne wäre. Aber er ist ein guter, aufrechter Kerl. Daniel drückte das perfekt aus“, beobachtet er. „Seine Rolle ist mindestens so schwierig wie die Salanders.“

Craig fasste früh den Schluss, die Rolle nicht mit einem extremen Akzent zu spielen, sondern Blomkvist ganz natürlich zu sprechen, wie es der kosmopolitischen Kultur Stockholms entspricht. „Ich habe mich für etwas ganz Schmuckloses entschieden“, erklärt er. „David und ich redeten darüber, und wir waren einer Meinung, dass ein Akzent nur von der Figur ablenken würde. Viele Schweden sprechen ausgezeichnetes Englisch, viele auch komplett ohne Akzent. Ich hatte den Eindruck, dass das der richtige Weg sein würde. Blomkvist ist weit gereist, er war schon überall auf der Welt, er hört im Radio BBC, seitdem er sechs Jahre alt ist. Ich glaube, das entspricht seiner Persönlichkeit.“

Nachdem er schon lange davon geträumt hatte, fand Craig die Zusammenarbeit mit David Fincher aufregend – trotz aller Herausforderungen. „David ist bekannt dafür, jede Einstellung sehr oft wiederholen zu lassen, und bei uns war das sicherlich nicht anders, aber mir hat das nichts ausgemacht“, berichtet Daniel Craig. „Von mir aus kann man Szenen den lieben langen Tag wiederholen lassen, wenn etwas Gutes dabei herauskommt. Entscheidend ist, dass man bei jeder Wiederholung wieder etwas Neues erschafft. David ist außerdem sehr spezifisch und – wie sage ich das jetzt am nettesten? – eigen. Aber wenn man einmal mitkriegt, wie er seine Szenen Stein für Stein zusammensetzt, ist das ein Vorgang, auf den man sich ganz entspannt einlassen kann. Man lässt ihn einfach machen, weil man weiß, dass er sein Auge auf all den entscheidenden Details hat.“

Craig merkt an, dass er sich in der besten körperlichen Verfassung seines Lebens befand, als er in der Rolle besetzt wurde, was aber nicht ganz den Anforderungen entsprach, einen Journalisten zu spielen, der die meiste Zeit über seinen Schreibtisch gebeugt verbringt oder seine Quellen befragt. „David sagte mir, ich müsste fetter sein. Das war ein Kampf, aber ich habe es hinbekommen“, lacht Craig.

Körperlich war er allerdings trotzdem gefragt, vor allem während des Höhepunkts des Films, aber Craig sagt, dass sein Fokus selbst in diesen Szenen eher nach innen gerichtet war. „Diese letzten Momente sind für Blomkvist vor allem emotional fordernd“, fasst er zusammen.

Produktion: Rolle der Lisbeth Salander

Als mit der Vorbereitung der Produktion von VERBLENDUNG begonnen wurde, richtete sich die Energie der Filmemacher darauf, die richtige Lisbeth Salander zu finden. Die Gefahr war, dass jeder, der das Buch gelesen hat, bereits eine klare Vorstellung besitzt, wie sie auszusehen hat. Michiko Kakutani beschrieb Lisbeth in ihrer Besprechung in der New York Times folgendermaßen:

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„Lisbeth Salander, Stieg Larssons feenhafte und kämpferische Heldin, ist eine der originellsten Figuren, die man seit einiger Zeit erlebt hat: ein burschikoses Mädchen, das aussieht wie Audrey Hepburn und Tätowierungen und Piercings trägt, die Keiner-kann-mich-aufhalten-Einstellung von Lara Croft pflegt und den coolen, unsentimentalen Intellekt von Spock hat. Sie ist ein verletzliches Opfer, das den Spieß umgedreht hat; ein willentlich antisoziales Mädchen, das von den Sozialeinrichtungen des Staates einst als mental inkompetent bezeichnet wurde und sich als weißglühend kompetent erweist, wie man es von einem Videogame-Krieger erwarten darf.“

Bei der Adpation der Figur zielte Zaillian darauf, all die widersprüchlichen Schattierungen von Salanders Persönlichkeit herauszuarbeiten – sie ist jederzeit bereit, mit allen Waffen in den Krieg zu ziehen, gleichzeitig aber zutiefst verletzlich, wenn ihr jemand zu nahe kommen könnte. „Sie ist die Art von Figur, die zu schreiben am meisten Spaß macht “, sagt Zaillian. „Man sieht sich gerne in ihr, weil sie Dinge macht, die man sich erwünscht, aber sich niemals selbst trauen würde: Sie greift die Dinge bei den Hörnern, sie lässt sich nicht alles gefallen. Aber sie hat noch mehr Seiten. Ein großer Teil der Kraft dieses Films kommt von Lisbeth Salander.“

Fincher wollte all diese Eigenschaften in einer Schauspielerin finden. Vor allem aber wollte er eine Mitstreiterin finden, die bereit sein würde, sich dieser ohnehin schon riskanten Figur anzunehmen, mit ihr bis zum Abgrund zu gehen und dann abzuspringen. All das fand er in Rooney Mara. Aber dem ging ein langwieriger Prozess voraus.

Am Anfang stand eine erschöpfende Suche nach der richtigen Schauspielerin. Zur zunächst relativ großen Gruppe von Darstellerinnen gehörte von Anfang an Mara, die eine kleine, aber denkwürdige Rolle in Finchers The Social Network (The Social Network, 2010) als Mark Zuckerbergs Freundin Erica Albright gehabt hatte. Fincher unterzog sie einer scheinbar endlosen Reihe von Vorsprechterminen, in denen sie unter Beweis stellen musste, dass sie für die Rolle bereit war. Darin verlangte der Regisseur alle möglichen Dinge von ihr, vom Rezitieren schwedischer Poesie hin zum Posieren vor Motorrädern.

„Was mich während des Vorsprechprozesses so für sie einnahm, war genau das, was mir auch an Lisbeth gefällt: Sie gibt nicht auf. Ich wollte so eine Person, die so unzähmbar und unbezwinglich ist“, sagt er. „Am Ende des Besetzungsprozesses wusste ich, dass sie jemand ist, für den man die Hand ins Feuer legt.“

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Er fährt fort: „Sie hatte vom Start weg so vieles von dem, wonach wir suchten, was wir unbedingt brauchten. Sie ist auch im wahren Leben jemand, der sich eher am Rand des Gesellschaft aufhält. Aber was noch wichtiger war: Sie war bereit, all die Arbeit reinzustecken, um diese Figur wirklich zu verstehen. Ich sagte: ,Ich weiß nicht, ob sie es draufhat, aber ich weiß, dass sie alles daran setzen wird, wenn wir in der Lage sind, sie zu inspirieren und zu unterstützen und sie dann loszulassen.‘ Und genau so war es. Sie schnitt sich die Haare ab, lernte, mit dem Motorrad zu fahren, sie reiste auf eigene Faust nach Schweden und tauchte einfach unter. Wenn man jemanden hat, der bereit ist, all das zu tun, dann kann man sich nicht mehr wünschen. Piercings sind Piercings, aber das kann wirklich jeder bringen.“

Die nicht enden wollende Abfolge von Vorsprechterminen ließen Mara aufs Äußerste angespannt sein und erhöhten auf sie den Druck, der Figur immer näher zu kommen. „Ich war absolut bereit, ihnen alles zu zeigen und alles zu machen, um diese Rolle zu bekommen“, erklärt sie. „Aber als sich das hinzog, wurde ich ungeduldig: ,Was muss ich euch noch zeigen, Leute? Ich habe euch alles gezeigt. Ich muss mit meinem Leben entweder weitermachen, oder aber lasst uns den Film jetzt machen. Ich bin bereit, alles bleiben zu lassen, aber entscheidet euch endlich.‘“

Die Monate des Vorsprechens und Wartens mündeten in einem Ultimatum. „David brachte mich in sein Büro und redete über die Rolle, sprach unentwegt über all die Gründe, warum jemand den Part nicht spielen sollte – dass sich mein Leben für immer verändern würde und zwar nicht unbedingt zum Besseren. Dann drückte er mir sein iPad in die Hand, darauf war die Pressemitteilung, dass ich die Rolle spielen würde. Er erzählte mir, dass sie die Mitteilung heute noch veröffentlichen wollten und ich eine halbe Stunde Zeit hätte, ja oder nein zu sagen.“

Mara zögerte keine Sekunde. Sie war bereits mit Haut und Haar in die Rolle geschlüpft. „Es hat noch nie eine weibliche Figur wie Lisbeth gegeben, so eine kleine, androgyne Person, die all diese unterschiedlichen Facetten an den Tag legt. Man hält zu ihr – und doch ist sie auch eine Person, mit der man nicht immer übereinstimmt, weil sie nicht immer Dinge macht, die man in Ordnung finden kann. Für mich war das absolut faszinierend.“

Sie fügt hinzu: „Ich glaube, viele Leute können sich mit ihr identifizieren, auch wenn sie ihnen in vielerlei Hinsicht fremd ist. Aber die meisten Menschen waren zu irgendeinem Zeitpunkt ihres Lebens auch einmal Außenseiter oder hatten den Eindruck, von einer Autorität unterdrückt worden zu sein.“

In dem Moment, in dem sie ihre Zusage gegeben hatte, steckte Mara mitten drin in der Tretmühle. „Eine Stunde, nachdem ich ja zu David gesagt hatte, nahm ich einen Computer auseinander, schwang mich auf ein Motorrad und nahm Skateboard-Unterricht. Und ziemlich exakt fünf Tage später war ich in Stockholm“, erinnert sie sich. „Ich hatte nicht wirklich die Zeit, darüber nachzudenken, was es bedeutete, dass ich die Rolle bekommen hatte, oder wie ich mich dabei fühlte. Ich schwenkte von jetzt auf gleich in den Laser-Fokus-Modus.“

Finchers Warnungen schreckten sie nicht ab. „Er sagte mir: ,Du musst nach Schweden reisen, allein sein und erleben, wie sich das Leben dieses Mädchens anfühlt.‘ Er sagte mir: ,Dieser Film wird dich auffressen. Du wirst dich eine ziemlich lange Zeit von deiner Familie und deinen Freunden verabschieden müssen.‘ Aber damals hat er mich noch nicht richtig gekannt“, erzählt sie. „Er wusste nicht, dass ich tatsächlich eine Einzelgängerin bin, und dass ich keine Angst vor dem hatte, was er von mir verlangte. Andere hätten sich vielleicht in die Hosen gemacht. Ich nicht.“

Schließlich veränderte Rooney Mara auch radikal ihr Äußeres. Sie schnitt sich die Haare ab, ließ sich mehrere Körperpiercings stechen und ließ sich ihre Augenbrauen bleichen – was sie als am schockierendsten empfand. Nicht nur gab es ihr ein eindringlich außergewöhnliches Aussehen, sondern es öffnete auch Lisbeths Gesicht: Die ungewöhnliche Mischung aus unsentimentaler Intelligenz und verborgener Wut erhält einen Raum, sich unverstellt abzuspielen.

„Unmittelbar vor dem Bleaching war ich auf alles vorbereitet, ich war aufgeregt“, erinnert sich Mara. „Dann blickte ich in den Spiegel und hatte einen regelrechten Anfall. Aber rückblickend finde ich, dass das Bleichen einer der besten Einfälle war, die wir für die Figur hatten. Das machte Lisbeth auf den ersten Blick unverkennbar.“

Eine weitere Möglichkeit für Mara, ihre Lisbeth Salander unverkennbar zu machen, bestand darin, einen Weg zu finden, wie man all ihre selbstauferlegten emotionalen Blockaden sichtbar macht. „David und ich unterhielten uns über die Idee, dass es bei Lisbeth keine offenen Wunden gibt. Sie besteht nur aus Narbengewebe. Sie weint nicht, sie erlaubt es sich selbst nicht zu fühlen, aber das Publikum muss wissen, dass sich unter den Narben Wunden befinden“, erklärt sie.

Je mehr sich Mara in Lisbeths abgeschlossene Innenwelt vorkämpfte, desto mehr begann sie zu verstehen, warum Stieg Larsson als eine der entscheidenden Inspirationen für die Figur Pippi Langstrumpf genannt hatte. „Lisbeth ist, wie Pippi Langstrumpf 25 Jahre später sein würde. Sie hat das Pferd gegen ein Motorrad getauscht. Sie hat jetzt einen Computer, aber sie folgt immer noch ihrem moralischen Kompass und nimmt den Bösewichtern Dinge weg“, erzählt sie.

Die volle Komplexität von Lisbeth kommt zum Vorschein in den beunruhigendsten Szenen der Geschichte – mehrere gewalttätige Übergriffe im Büro von Lisbeths rechtlichem Vormund, Nils Bjurman. Diese Szenen stellten für alle Beteiligten eine extreme Herausforderung dar – sowohl psychisch wie physisch. Aber sie sind auch der Schlüssel, wenn man verstehen will, was Lisbeths Impetus ist, Blomkvist dabei zu helfen, einem Frauenmörder auf die Schliche zu kommen. „Die Szenen mit Bjurman erzählen einem einfach alles über Lisbeth“, findet Rooney Mara. „Der gezeigte Missbrauch ist es, der Lisbeth und eigentlich auch den Rest der Geschichte auf vielfältige Weise antreibt. Dies waren die Szenen, an die ich ständig denken musste.“

Als man sie am Drehort durchspielte, war die emotionale Intensität spürbar. „Ich wusste immer, dass diese Szenen hart sein würden, aber sie waren härter, als ich es mir hätte vorstellen können“, erinnert sie sich.

Um die Intensität aufrechtzuerhalten, ging Mara dem Schauspieler aus dem Weg, der als Bjurman besetzt worden war – Yorick van Wageningen. „Yorick ist der liebenswerteste Typ, den man sich denken kann, aber ich wollte mich von ihm fernhalten, um nicht daran erinnert zu werden, was für ein netter Kerl ist“, merkt Mara an. „Es war besser für uns, im Vorfeld nicht darüber zu reden, sondern einfach in das Zimmer zu gehen und die Sache durchzuziehen.“

Lisbeths Welt zerfällt zwar einerseits, andererseits gibt es auch einen unerwarteten Rettungsanker, ihre Beziehung zu Mikael Blomkvist, dem sie zusehends näherkommt. Überraschend ist für sie nicht die sexuelle Anziehung, sondern ein für sie völlig neuer Instinkt: Vertrauen. „Lisbeth verbringt in diesem Film viel Zeit damit, andere Leute auf Distanz zu halten. Sie ist ständig im Begriff, Dinge und Gefühle zu unterdrücken und andere Menschen wegzustoßen. Sie hat keine Beziehungen, in denen sie wirklich Kontakt mit anderen Menschen aufnimmt“, erklärt Mara. „Aber bei Mikael fängt sie an zu glauben, dass er endlich jemand sein könnte, an den man glauben kann. Gleichzeitig gibt es für sie genug gute Gründe, sich die Frage zu stellen, wie sie so dumm sein kann, überhaupt jemandem zu vertrauen.“

Letztendlich war das Erlebnis, Lisbeth spielen zu können, für Mara all das wert, worum sie in den Monaten gekämpft hatte, um die Rolle zu bekommen. „Es ist eine Rolle, wie man sie nur einmal im Leben zu spielen bekommt“, meint sie. „Aber abgesehen davon hat mich die Erfahrung gelehrt, mehr an mich zu glauben. Ich habe so viel gelernt und so viele Dinge gemacht, von denen ich nie geglaubt hätte, dass ich sie einmal tun würde.“

Abschließend sagt sie: „Das ist mir an David am liebsten: Er fordert all das heraus. Deshalb sind seine Filme so großartig. Sie fordern uns heraus und lassen uns über Dinge nachdenken, an die wir sonst keine Gedanken verschwendet hätten. Und ich bin fest davon überzeugt, dass die Menschen es lieben, wenn sie herausgefordert werden.“

Produktion: Weitere Besetzungen

Zu Daniel Craig und Rooney Mara stoßen in VERBLENDUNG eine Reihe renommierter Schauspieler. Dazu gehören Christopher Plummer als Patriarch Henrik Vanger, ein pensionierter Tycoon, der die Nachforschungen in die Vergangenheit seiner Familie einleitet; Steven Berkoff als Vangers Anwalt Dirch Frode, der Lisbeth Salander den Auftrag gibt, Mikael Blomkvist auszuspionieren; Robin Wright als Blomkvists Partnerin Erika Berger, mit der er das „Millennium“-Magazin verlegt und regelmäßig auch das Bett teilt; Stellan Skarsgård als Martin Vanger, Harriets Bruder; Yorick von Wageningen als Nils Bjurman, Lisbeths neuer rechtlicher Vormund; Joely Richardson als Anita Vanger, die die vermisste Harriet besser kannte als irgendjemand sonst; und Geraldine James als verschlossene Cecilia Vanger.

Im Zentrum der Macht der Familie steht Martin, mittlerweile Vorstandsvorsitzender des schlingernden Familienimperiums, der Blomkvist auf dem Familienanwesen auf der Insel Hedeby willkommen heißt, damit der nach der vor Jahrzehnten verschwundenen Harriet forschen kann. Martin wird von Stellan Skarsgård gespielt, einem schwedischer Schauspieler, der sich längst über die Grenzen seiner Heimat hinaus einen Namen gemacht hat. „Ich bin an Menschen interessiert, die komplex und kompliziert sind, und das trifft auf Martin sicherlich zu“, sagt er. „Er kann ausgesprochen charmant sein, aber manchmal kann er auch wie eine völlig andere Person erscheinen.“

Wie der Rest der Besetzung vertraute auch Skarsgård auf die Sensibilitäten Finchers. „David besteht auf jedes noch so kleine Detail“, merkt er an. „Er ist technisch bewandert wie kaum ein anderer, aber er glaubt zutiefst daran, dass, egal um welches Genre es sich handeln mag, einen Film die Figuren ausmachen. So technisch brillant er seine Filme auch umsetzen mag, am meisten interessieren ihn die Figuren – und das ist die Voraussetzung für die besten Schauspielerleistungen.“

Einem weiteren Familienmitglied des Vanger-Klans fällt ebenfalls eine Schlüsselrolle zu: Anita Vanger, gespielt von Joely Richardson. Wie die anderen Schauspieler war auch sie fasziniert von Finchers Ansatz, zumal ihre Figur ziemlich raffiniert ist. „Er sagte immer: ,Düsterer, direkter, kein Zuckerguss, nichts wird aufgelöst oder geheilt‘“, erinnert sie sich. „Selbst wenn wir uns in die Richtung von aufgelöst und geheilt bewegten, bestand er darauf, dass es düster und direkt sein musste. In der Welt dieses Films gibt es keine aufrichtigen Emotionen.“

Die Figur, die Lisbeth Salander über ihre Toleranzgrenze stößt, ist Bjurman, ihr neu zugewiesener Vormund, der nach dem Studium ihres bitteren Lebenslaufes mit Waisenheimen, Verhaftungen, Abhängigkeiten und psychiatrischer Verwahrung überzeugt ist, dass er sie in der Hand hat und mühelos kontrollieren kann. Er hat Kontrolle über ihre Konten. Er zwingt sie zu sexuellen Gefälligkeiten. Als sie seinen Missbrauch nicht länger ertragen kann, fasst sie den Beschluss, ihn zu Fall zu bringen und dabei für immer als Soziopathen zu brandmarken.

Bjurman wird von dem niederländischen Schauspieler Yorick van Wageningen gespielt. Fincher wählte ihn aus einem ganz speziellen Grund aus. „Ich hatte den Eindruck, dass diese Figur kein Bösewicht sein sollte. Er sollte schlimmer sein“, erklärt der Regisseur. „Er sollte jemand sein, der nicht einfach ein Vergewaltiger ist, sondern ein Mann, der ein Mädchen sieht, das anders aussieht, verschlossen ist, das jedem Augenkontakt ausweicht, und beschließt, dass sie wertlos ist. Es ist wie Treibsand für sein eigenes Bedürfnis, andere zu dominieren. Was ich nicht wollte, war ein Schnurrbart zwirbelnder Perverser. Als ich Yorick sah, sah ich jemanden, der ein Mensch aus Fleisch und Blut ist und obendrein ein ausgezeichneter Schauspieler, der Bjurman mit all diesen Dingen ausstatten konnte. Er war in der Lage, seine Darstellung an einem logischen Ort in Bjurmans Verstand beginnen zu lassen und darin den brodelnden Morast voller Düsternis zu finden.“

Für van Wageningen war es genau diese Komplexität, die die Darstellung dieser Figur so reizvoll machte. „Diese Figur macht im Verlauf einiges durch, und ich war mir nicht sicher, ob ich das alles mitmachen wollte“, gesteht der Schauspieler. „Ich war hin- und hergerissen zwischen der Begeisterung, mit David Fincher arbeiten zu können, und dem Grauen davor, diese Figur zu spielen, aber ich war schließlich in der Lage, beides für die Darstellung verwenden zu können. Wir beide fanden, dass es am interessantesten sein würde, Bjurman umgänglich erscheinen zu lassen. Die Herausforderung bestand darin, nicht die absurde Gewalt in der Figur zu finden, sondern seine Menschlichkeit.“

Dennoch war es nie auch nur im Entferntesten einfach. „Ich habe mich mehrfach zwischen zwei Einstellungen in meinen Wohnwagen verkrochen und einfach 15 Minuten lang geweint“, berichtet der Schauspieler. „Ich denke, dass eine Szene wie die Vergewaltigungsszene mit Lisbeth nur dann funktioniert, wenn sie für beide Darsteller wie echt wirkt. Die Emotionen in dieser Szene mussten also echt sein. Es war ziemlich schrecklich für mich, und dann die große finale Szene mit den beiden … Ich glaube, dass ich mich bis jetzt nicht davon erholt habe. Diese Szene hat mich an einen Ort geführt, an den sich Menschen normalerweise nicht bewegen. Und niemand würde es jemals wollen.“

Von Wageningen und Mara stimmten überein, dass sie außerhalb ihrer Szene keinerlei Kontakt haben würden. „Das ist ziemlich gewagt, wenn man gemeinsam große Szenen hat. Für gewöhnlich unterhält man sich vor dem Dreh immer sehr ausführlich miteinander“, sagt von Wageningen. „Aber ich glaube, dass wir beide voll und ganz verstanden, was Fincher von uns wollte, und wir beide wussten, was wir von unseren Figuren wollten, und dann ließen wir in dieser Szene einfach alle Zügel los. Ich denke, daher rührt dieser Realismus, den man unbedingt spürt.“

Finchers Art und Weise, mit den Schauspielern zu arbeiten, machte es möglich, sagt von Wageningen: „David erschafft einen Ort, an dem man in einer Einstellung die eine Sache wagen kann, die man sich zuvor niemals getraut hätte.“

Produktion: Die Drehorte

Von Anfang an trafen David Fincher und Steven Zaillian die Entscheidung, die Handlung von VERBLENDUNG wie in Stieg Larssons Vorlage in Schweden spielen zu lassen. Auf keinen Fall wollten sie die Geschichte nach Amerika verlegen. „Es gab einfach keinen Weg, die Geschichte zu verlegen“, meint Fincher. „Man hätte diesen Film nicht in Seattle machen können, selbst in Montreal wäre es unmöglich gewesen. Die Geschichte musste in Schweden spielen, weil die Wurzeln der Geschichte so unverkennbar schwedisch sind.“

Tatsächlich hatte Larsson seine internationalen Leser in ein Schweden entführt, das den meisten in dieser Art völlig fremd war. Natürlich finden sich auch vermeintlich bekannte Elemente wie Schwedens Sozialdemokratie, unberührte Landschaften und ein kulturelles Vertrauen auf Funktionalität. Die „Milliennium“-Trilogie offenbarte aber auch die oft übersehenen Risse in der Fassade der Nation.

Um Larssons Zusammenspiel von Licht und Noir vor dem Hintergrund der schwedischen Landschaft perfekt und entsprechend stimmungsvoll einzufangen, arbeitete Fincher eng mit einer künstlerischen Crew zusammen, zu der in Schlüsselstellen der Oscar®-nominierte Kameramann Jeff Cronenweth (The Social Network (The Social Network, 2010) und der Oscar®-prämierte Szenenbildner Donald Graham Burt (The Social Network, The Curious Case of Benjamin Button (Der seltsame Fall des Benjamin Button, 2008)) gehörten.

Sie deckten sich förmlich mit schwedischem Leben ein. „Zeit in Schweden zu verbringen, war für mich vermutlich hilfreicher als jedes andere Training, das ich in Vorbereitung auf den Film gemacht hatte“, sagt Rooney Mara. „Man kann Stieg Larsson oder Lisbeth wirklich erst dann verstehen, wenn man die Schweden kennengelernt und die Energie von Stockholm am eigenen Leib erfahren hat.“

Von der eisigen Küste Norrlands hin zum modernistischen Minimalismus von Stockholm war das schwedische Umland steter Quell der Inspiration für Jeff Cronenweth, der die Digital-RED-Kamera zum Einsatz brachte (die er schon in The Social Network benutzt hatte) und außerdem mit der neuesten RED-Kamera arbeitete, der Epic, deren Vielfältigkeit und Auflösung er voll ausschöpfte. Früh war die Entscheidung getroffen worden, dass der Film eine gewisse Rauheit an seinen atmosphärischen Rändern haben sollte, um dem Ton von Larssons Büchern zu entsprechen.

„Unsere Idee war, unorthodoxe Lichtquellen einzusetzen und alles möglichst real aussehen zu lassen“, erklärt Cronenweth. „Vielleicht gibt es mal Schatten, vielleicht mal kleine Fehler, aber es ist immer echt. Man lässt Silhouetten und Dunkelheit zu, aber gleichzeitig will man Einstellungen, die das konterkarieren, wenn man nicht will, dass der Film immer nur eine Note anschlägt.“

Die Außendrehs fanden an Originalschauplätzen statt. Cronenweth ließ sich dabei auf die undurchschaubaren Wetterwechsel der schwedischen Jahreszeiten ein, um die Stimmung des Films zu verstärken. „Das schwedische Wetter spielt eine wichtige Rolle in unserem Film“, merkt er an. „Es ist ein durchgängiges Element im Hintergrund, und es war sehr wichtig, dass das Publikum das zu spüren bekommt. Der Winter ist wie eine stumme Figur des Films, sein gedämpftes, kühles Licht ist supersoft und indirekt.“

Cronenweth war beeindruckt, wie gut die Epic-Kamera die strengen Wetterverhältnisse vertrug. „Es war sehr interessant, all diese schwarzen Bäume vor weißen Schneefeldern zu filmen, während leuchtende Autos durch die herabfallenden Schneeflocken fuhren – das sind Elemente, die jede Kamera vor schier unlösbare Aufgaben stellen – von digitalen Kameras gar nicht zu reden“, sagt er. „David und ich waren sehr, sehr glücklich mit den Bildern.“

Mittlerweile versteht sich Cronenweth beinahe blind mit dem Regisseur, sie teilen viele visuelle Instinkte. „Ich denke, dass wir uns bei den ästhetischen Entscheidungen auf Augenhöhe befinden“, meint der Kameramann. „Uns verbindet mittlerweile eine so lange Beziehung, dass ich behaupten möchte, dass es niemanden gibt, der ein so gutes Verständnis für die Dinge hat, die David sieht. David hat es wirklich drauf, jede nur erdenkliche Art von emotionalen Einstellungen zu konzeptionalisieren.“

Cronenweth sagt, dass viele dieser Einstellungen mit Rooney Maras Gesicht in Situationen, die von zärtlich bis furchterregend rangieren, zu tun haben. „Ihre Haut als Salander ist so zart, dass das Licht von ihr auf magische Weise reflektiert wird“, erzählt er. „Wir waren also in der Lage, auch bei extrem gedämpftem Licht zu drehen, sie aber dennoch phänomenal aussehen zu lassen.“

Eine von Cronenweths Lieblingssequenzen ist Lisbeths Jagd eines Computerdiebs durch die von Menschen gefüllte U-Bahn von Stockholm. „David richtete die Szene auf langen Rolltreppen in einer echten U-Bahn-Haltestelle ein“, erklärt er. „Man erlebt mit, wie Lisbeth so sehr provoziert wird, dass sie fast animalisch reagiert. Der Trick bestand darin, diese Energie einzufangen. Das war eine der Situationen, bei der wir die Epic-Kameras am intensivsten einsetzen, weil man sie ganz klein machen kann. Manchmal balancierten wir sie auf einem Baseball, den wir als Stativ benutzten. Wir bastelten auch Vorrichtungen, dass wir sie durch Treppengeländer bewegen konnten. Die Idee dahinter war, so nahe wie möglich rangehen zu können, als wären wir unmittelbar an der Action beteiligt. Wir filmten die Szene so, dass manche Elemente ganz urplötzlich ins Bild springen, während andere verdeckt werden. Die Spannung nimmt deshalb zu, weil das Publikum sich kein komplettes Bild machen kann, was gerade passiert. Ob es sich nun um eine Kampfszene, eine Vergewaltigungsszene oder eine Sexszene handelt, David beherrscht es perfekt, das Bild zu kontrollieren.“

Für zusätzliche visuelle Ebenen sorgt die Arbeit von Szenenbildner Donald Graham Burt, der ebenfalls wiederholt schon mit David Fincher gearbeitet hat – und für seine Arbeit an The Curious Case of Benjamin Button gemeinsam mit Setdekorateur Victor J. Zolfo einen Oscar® erhielt. VERBLENDUNG reizte ihn nicht zuletzt deshalb, weil er sich mit einer Kultur auseinandersetzen musste, von der er nach eigenen Angaben vor Beginn der Produktion relativ wenig Ahnung hatte.

„Ich dachte, dass es eine wirklich interessante Herausforderung sein würde, den ersten großen Hollywoodfilm auf schwedischem Boden zu drehen“, sagt er. „Das ist eine Kultur, die im amerikanischen Kino weitgehend unberührt ist. Es war etwas Neues und anderes für mich, und das gefiel mir.“

Er begab sich auf eine einmonatige Reise durch Schweden, weniger um nach geeigneten Drehorten zu suchen, als sich vielmehr von der Atmosphäre inspirieren zu lassen. „Es dauert eine Weile, bis man die Nuancen einer Kultur wirklich bewusst wahrnimmt, bis man die Themen erkennt, die sich in der Architektur, der Landschaft, den Aufteilungen der Städte und den Gewohnheiten der Menschen finden lassen“, beobachtet er. „Ich hatte das Gefühl, ich müsste mich erst einmal voll und ganz in diese Welt integrieren, um wirklich das nötige Gespür für Ort und Zeit des Films zu entwickeln. Es ging nicht nur darum, die Körperlichkeit der Locations zu verstehen, sondern ihre Metaphysik – und wie diese Designs das Leben der Menschen berühren.“

Später stieß Fincher in Schweden zu Burt, um sich mit ihm über die grundsätzliche Designstruktur des Films zu unterhalten. „Unser Ansatz war, dass wir uns ganz nah an der schwedischen Realität orientieren wollten, allerdings ohne Postkartenmotive abzufilmen. Wir wollten nicht die typischen Orte aufsuchen. Uns ging es um Drehorte, die sich am Rand befinden, die ungewöhnlich sind, schräg, nicht so bekannt“, bekennt Burt.

Während Burt einige der Sets vor Ort in Schweden errichtete und dabei mit schwedischen Teams arbeitete, wurde ein Großteil der Studiobühnenarbeit in den USA abgewickelt, um Burt und seinem Team mehr Flexibilität zu ermöglichen. Zu diesen Sets gehören zwei der wichtigsten Örtlichkeiten des Films: Blomkvists und Salanders diametral voneinander verschiedene Wohnungen. „Salanders Wohnung besteht im Grunde nur aus ihrem Computer und ihrem Dasein als Hackerin, alles andere ist Nebensache“, meint Burt. „Wenn sie am Computer sitzt, gibt es für sie nichts anderes, dann ist sie in ihrer eigenen Welt. Man bekommt also das Gefühl, dass alles andere irgendwie vernachlässigt oder ignoriert wird. Zudem lebt sie in einem großen, anonymen Wohnhaus, das ganz einfach ausgestattet ist und den Eindruck unterstützt, dass es sich bei ihr um einen Einzelgänger handelt, der versteckt lebt. Blomkvists Wohnung ist dagegen stilsicher eingerichtet und einladend. Er arbeitet für ein Hochglanzmagazin, ist aber gleichzeitig ein Detektiv, man merkt also auch ihm an, dass er auf eine gewisse Weise ein Außenseiter ist.“

Eine von Burts faszinierendsten Aufgaben war die Schöpfung des Vanger-Anwesens, gedreht in einem herrschaftlichen Wohnhaus im Südwesten von Stockholm, das die Mannschaft in eine Familienenklave voller Geheimnisse verwandelte. Burt gibt an, dass das Anwesen im typischen Stil eines „Herrensitzes in Småland“ errichtet wurde, basierend auf französischer Architektur des 18. Jahrhunderts. „Wir wollten etwas zeigen, das sehr streng, sehr organisiert, sehr formal wirkt. Es sollte nach altem Geld aussehen“, fasst er zusammen. „Die Schweden beherrschen modern und minimal aus dem Effeff, aber man findet auch diese wunderbaren Landsitze, die einen interessanten Gegensatz zur modernen Stadt bilden – und doch merkt man beiden an, dass Geld dahintersteht.“

Im Kontrast zu dem ausgedehnten Landsitz steht die Banalität von Bjurmans Büro. „Wir platzierten sein Büro in einem Gebäude aus der Mitte des letzten Jahrhunderts, wo alles ganz sauber und geradlinig aussieht“, sagt Burt. „Da sieht nichts luxuriös aus. Es ist ganz simpel, im Gegensatz zu dem, was sich hinter den Mauern abspielt.“

Bei all seinen Designs für den Film zielte Burt darauf ab, eine Entsprechung für Stieg Larssons ausgeprägtes Schwedischsein zu finden – sowie für seine Faszination damit, den Lug und Trug hinter der sauberen Fassade des Alltags aufzudecken. „Alles, was wir gemacht haben, entspricht der schwedischen Kultur, bis hin zu den Karaffen mit Preiselbeerensaft, die man in jeder Küche findet“, merkt Burt an. „Es gibt da eine Ästhetik, die sich durch alle Schichten der schwedischen Gesellschaft zieht, von reich bis arm, in der es um Einfachheit geht, um Funktionalität, um die Verwaltung dessen, was man besitzt. Nur eines haben wir vermieden: das Pink und Orange der Farbpalette, die man bei älterer schwedischer Architektur in den historischen Stadtvierteln findet. Diese Geschichte verlangt nach dunkleren, gedeckteren Tönen.“

Produktion: Kostüme und Design

Die gewaltige Aufgabe, Stieg Larssons so unterschiedliche Figuren, die aus allen Schichten der schwedischen Gesellschaft stammen, mit Kostümen auszustatten, fiel Trish Summerville zu. Summerville arbeitete mit dem Haarstylisten Danilo und dem Make-up-Künstler Pat McGrath zusammen, um die Elemente von Lisbeth Salanders gezielt abtörnendem Stil zu erarbeiten, komplett mit abgeschnittenen Haaren, dunklem Make-up, gepiercten Augenbrauen und verhüllenden Outfits, wozu Kapuzen, Lederbewehrung und zerfetzte Jeans gehören.

Der Schlüssel bestand darin, es Lisbeth zu gestatten, einerseits außergewöhnlich un anders zu sein, andererseits aber auch real zu sein – jemand, der in der konservativen Welt der Sicherheitsdienste unweigerlich heraussticht, aber in der Subkulturszene nicht weiter auffällt. „Wir wollten sie nicht auffällig und laut aussehen lassen, sondern wirklich richtig authentisch“, erklärt Summerville. „Wir wollten nicht, dass sie aussieht, als würde sie in einer Punk- oder Gothband mitspielen. Sie sollte vielmehr cool aussehen in ihren eingetragenen Klamotten. Wir sahen Lisbeth als jemanden, der nahtlos in den Schatten verschwinden kann, wenn sie es will.“

Ihre auf dunkle Töne festgelegte Garderobe besteht aus Motorradjacken, Kampfstiefeln, High-Tops, Nietengürteln, Lederarmbändern, dicken „Spacer“-Ohrringen und T-Shirts mit provokativem Aufdruck (oftmals in Schwedisch) – alle Stücke wurden gewaschen, geschmirgelt, gebleicht und geglättet, um den Eindruck zu erwecken, dass sie lange und oft getragen und entsprechend abgenutzt wurden. „Und dann sind da noch die Kapuzenjacken“, sagt Summerville über eines der metaphorisch auffälligsten Kleidungsstücke von Lisbeths Uniform. „Sie trägt immer eine Kapuzenjacke und hat auch immer einen dieser Möbius-Schals über den Kopf gezogen, wenn sie beim Hacken sitzt – David nannte sie immer den ,Jedi-Ritter‘.“

Für das grundsätzliche Haardesign brachte Summerville ihren Freund Danilo an Bord, der mit Künstlerinnen wie Lady Gaga oder Gwen Stefani gearbeitet hat, weil sie fand, dass er die richtige Ästhetik mitbringen würde. „Er ist ein authentischer Punk aus der alten Zeit, der überall auf der Welt gelebt hat, also dachte ich mir: ,Wenn dieser Typ es nicht drauf hat, dann niemand auf der Welt.’“

Fincher wollte nicht nur, dass Lisbeths Haar ausdrucksstark sein sollte. Es sollte auch fließend und wandelbar sein. „David war es wichtig zu betonen, dass die Geschichte über ein ganzes Jahr hinweg spielt, also durfte der Haarstil nicht durchgehend derselbe sein“, sagt Summerville. „Danilo trimmte Rooneys Haare, die sie zu diesem Zeitpunkt bis zur Mitte des Rückens trug, radikal und verpasste ihr einen extremen Schnitt. Sie hat einen Mikro-Pony, die Unterseite ist rasiert, die Haare hinten sind abgeschnitten, nur vorne gibt es längere Fransen – aber es gibt so viele verschiedene Arten, diese Frisur zu tragen. Man kann sie hochstecken, sie fallen lassen oder sogar einen Irokesen daraus frisieren.“

Danilo war es auch, der Maras Augenbrauen bleichte. Summerville erinnert sich an diese Metamorphose: „Das ließ ihr Gesicht einfach so unglaublich aussehen und veränderte ihren Look total“, sagt sie. „Rooney war so mitgenommen, dass sie darum bat, ein paar Minuten alleine zu sein. Dann gingen wir rüber in den Tattoo- und Piercing-Salon, und sie ließ sich noch am selben Tag ihr Augenbrauenpiercing stechen. Es war wie eine Instant-Verwandlung. Binnen eines Tages war sie völlig verwandelt. Eben noch war sie Rooney Mara, dann tauchte sie als Lisbeth Salander wieder auf.“

Summerville arbeitete mit Fincher am Design der Tätowierungen und den genauen Orten, wo sie am Körper angebracht werden sollten, darunter das definitive Motiv an Lisbeths Schulter, das der englischen Fassung des Buches/Films den Titel verlieh – „The Girl with the Dragon Tattoo“. „Der Drache war definitiv die am schwersten zu knackende Nuss“, merkt sie an.

Am Set wurden die Wechsel von Maras Frisur, Make-up und Tattoos von Szene zu Szene von Haar- und-Make-up-Designer Torsten Witte überwacht, ein langjähriger Mitstreiter von Summerville, der davor mit Fincher bei den Vorsprechproben gearbeitet hatte, bei denen nach der richtigen Lisbeth Salander für den Film gefahndet wurde. „Damals schon war mir klar, dass David immer Rooney im Visier hatte“, erinnert er sich. „Für mich war sie die perfekte Leinwand, auf der ich malen konnte.“

In Wittes Stuhl musste sie viel über sich ergehen lassen. „Oft fühlte ich mich sehr schlecht, wenn ich Rooney um 4 Uhr 30 morgens bei mir antanzen ließ, um ihr die Haare zu schneiden, sie zu rasieren, die Augenbrauen zu bleichen und die Tattoos aufzutragen“, erzählt er. „Jeder einzelne ihrer Looks bedurfte ständiger Wartung. David und Trish waren sehr spezifisch, was sie in jeder einzelnen Szene sehen wollten. Grundsätzlich gesprochen, war es David wichtig, dass es einen ständigen Wechsel bei Lisbeth gibt. Einmal sollte sie attraktiv sein, dann wieder sollte sie Leute mit ihrem Aussehen abweisen. Man sollte einerseits denken: ,Oh, sie sieht interessant aus‘, aber man sollte sich auch fragen: ,Was ist das denn?‘. Aber der Look war nie statisch. Wenn Lisbeth gerade 36 Stunden vor dem Computer verbracht und dabei nur geraucht, aber nichts gegessen hat, dann sollte sie auch Ringe unter den Augen haben, und ihre Haare sollten völlig durcheinander sein. Ihr Aussehen konnte wechseln von sehr stark hin zu unschuldig und einfach, jeweils abhängig von der Situation.“

Ihr Haarschnitt half dabei, diese Flexibilität zu ermöglichen. „Das dunkle, abgeschnittene Haar ergab einen wirklich großartigen Rahmen für dieses bleiche, fragile Gesicht, das nie an die Sonne kommt“, erklärt Witte. „Wir konnten eine Menge damit anstellen. Mir gefiel der Look mit den Zöpfen, der Iro sah stark aus an Rooney, und ich fand es auch toll, wenn sie die Haare einfach nur nach hinten strich oder einen Beanie aufsetzte. Es gab nur eine Grundregel: David musste immer in der Lage sein, ihr Gesicht zu sehen.“

Für Maras Make-up-Design schlug Produzentin Céan Chaffin vor, die britische Make-up-Künstlerin Pat McGrath für die Ideenfindung zu verpflichten – sie wurde vom „Vogue“-Magazine zum einflussreichsten Make-up-Künstler in der Modeindustrie gewählt. „Céan bewundert ihre Arbeit, also kam sie nach Schweden und schlug uns zwei Tage lang eine Reihe verschiedener Looks vor“, berichtet Summerville. „Sie leistete wunderbare Arbeit. Und dann konzeptionalisierte sie das Make-up für den ganzen Film – sie schlug die Looks für mehr als 30 Figuren vor. Sie und Danilo und der Rest der Mannschaft waren ein Dream-Team. Egal, mit welcher Idee David auch ankam – verrücktes, verrücktes Zeug –, wir hatten immer eine kreative Antwort parat.“

Für Lisbeths normales Tages-Make-up zog Witte in Betracht, dass sie wahrscheinlich nichts als Abscheu für eine komplizierte Beauty-Routine empfinden würde. „Trish und ich unterhielten uns darüber, wie wir sie wahrhaftig gestalten könnten. Eine Sache, über die wir redeten, war die Sache, dass sie vermutlich ein paar wenige Make-up-Produkte am Tag verwenden würde. Einen schwarzen Eyeliner vielleicht und dunkler Lidschatten. Wir machten es uns zur Regel, pro Look nicht mehr als fünf verschiedene Produkte zu verwenden“, erklärt er.

Jeden Tag brachte Witte von Neuem sieben Tattoos auf Maras Haut auf. „Wir verwendeten richtige Tinte. Als ich darüber nachdachte, dass sie mit der RED-Kamera drehen würden und man jede Tätowierung auf der Leinwand so groß wie ein Haus sehen würde, war mir klar, dass es wichtig wäre, sie jeden Tag aufs Neue aufzutragen“, sagt er.

Mara beließ es nicht bei einem Augenbrauen-Piercing. Sie ging noch weiter. „Es ist schwierig, ein Nippel-Piercing vorzutäuschen, also beschloss Rooney eines Tages, dass sie das ihrer Figur schuldig wäre, und dann machten wir uns alle gemeinsam daran, das entsprechend umzusetzen“, erzählt Witte. „Die anderen Piercings in ihrer Nase und den Lippen kann man nachmachen. Aber es war viel Arbeit für Rooney, und ihr Einsatz war wirklich vorbildlich. Mit ihr konnten wir eine großartige Mannschaftsleistung abliefern, Trish und David gaben genau die Linie vor, was man für die Figur gerade unbedingt brauchte.“

Während Lisbeths innerlich motivierter Stil natürlich im Mittelpunkt stand, war es für Summerville von ebenso großer Bedeutung, mit Daniel Craigs Mikael Blomkvist einen spürbaren Kontrapunkt zu setzen. „Ich hatte unheimlich viel Freude mit Daniel, weil es einfach so viel Spaß macht, ihn anzuziehen“, merkt die Kostümdesignerin an. „Wir packten ihn in Pullover oder mehrere Lagen von Kleidung, um ihn etwas schwerer und untersetzter erscheinen zu lassen. Alles, was Lisbeth trägt, ist eingetragen. Bei ihm stimmt die Passform immer genau, wie bei einer Uniform. Trotzdem sieht es an ihm immer entspannt und lässig aus. Er bügelt seine Hemden nicht und er trägt sie am Kragen offen und hat sie immer nur halb in die Hose gesteckt. Er trägt immer dieselben Jeans – diese Scotch&Soda-Jeans. Davon haben wir 30 Paar für Daniel gekauft.“

Summerville gefiel die breite Palette des Films, mit Dutzenden Figuren aus allen denkbaren Gesellschaftsschichten. Einer ihrer Lieblinge war Erika Berger, Blomkvists Liebhaberin und Magazinpartnerin, gespielt von Robin Wright. „Ich betrachtete Erika als eine erwachsenere, professionelle Version einer älteren, milderen Lisbeth Salander“, erklärt sie. „Wie Lisbeth hat sie eine sehr starke weibliche Eingebung, und ich denke, das ist auch der Grund, warum Blomkvist sich zu ihr hingezogen fühlt. Es hat viel Spaß gemacht, mit Robin zu arbeiten.“

Über den Autor Stieg Larsson

Stieg Larsson starb am 9. November 2004 im Alter von 50 Jahren an einem Herzinfarkt, kurz bevor VERBLENDUNG veröffentlicht wurde. Als das Buch die Bestsellerhitlisten auf der ganzen Welt zu dominieren begann, wunderten sich viele, wie ein Romandebüt posthum der kulturell einflussreichste Thriller einer Generation werden konnte. Aber Larsson kam nicht aus dem Nichts. Er war in Schweden seit Langem ein renommierter Journalist, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Neonazi-, White-Supremacy- und andere politisch rechtsextreme Organisationen zu enttarnen, die in Europa Fuß zu fassen versuchten. Dieselben Themen, die ihn als Journalist interessierten – Wirtschaftsverbrechen, antidemokratische Kräfte, Machtmissbrauch, Gewalt gegen Frauen, Fragen zu Immigration, Xenophobie und Rassismus – wurden auch die Kernthemen seiner „Millennium“-Trilogie. Obwohl diese Themen im Krimigenre nicht neu sind, war es doch Larssons unsentimentaler Fokus auf normalerweise unsichtbare Figuren, auf Ethik, die Freiheit des Einzelnen und das Wesen der Vergeltung, die ihn einen ganz anderen Ton anschlagen ließen, was zum enormen Unterhaltungswert seiner Erzählung nicht unwesentlich beitrug.

Larsson wurde 1954 als Karl Stig-Erland Larsson geboren und lebte als kleines Kind bei seinen Großeltern in Norrland, einer zerklüftete Gegend im Norden von Schweden, nicht unähnlich der, die in VERBLENDUNG beschrieben wird. (Es ist überdies ein Landstrich mit einer starken Erzähltradition; viele berühmte schwedische Schriftsteller stammen von dort.) Als Junge wurde er stark von seinem strikt antifaschistischen Großvater und seinen politisch aktiven Eltern beeinflusst, die in Larsson schon früh eine große Faszination für Demokratie und Politik weckten. Als sein Großvater im Alter von 56 Jahren an einem Herzanfall starb, zog Larsson mit seinen Eltern zurück in die Stadt und ermöglichten ihm damit, beide Seiten der schwedischen Gesellschaft kennenzulernen. Das Schicksal wollte es, dass seine Eltern Geld borgten, um ihm eine Schreibmaschine kaufen zu können, als er 14 Jahre alt war. Sofort begann er, Geschichten zu schreiben, obwohl er bald schon eine Karriere als Journalist einschlagen sollte, nur um viel später doch wieder zur Fiktion zurückzukehren.

Ebenfalls als Teenager machte er eine erschütternde und folgenschwere Erfahrung, die später als Inspiration für die brutalen Geschehnisse in der „Millennium“-Serie diente, wie sein langjähriger Freund Kurdo Baksi behauptet. Baksi schrieb in mehreren Artikeln, dass Larsson als 15-Jähriger Zeuge einer Gruppenvergewaltigung eines jungen Mädchens wurde, aber nicht in der Lage war, in das Verbrechen einzugreifen und es zu unterbinden. Damals wurde sein lebenslanger Zorn auf die Ausbeutung von Frauen tief in ihn eingebrannt – und das Bedürfnis, wie Baksi es nennt, „etwas gegen diese sinnlose Gewalt zu unternehmen“.

Nach seinem Pflichtdienst beim Militär wandte sich Larrson in seinen Zwanzigern dem Aktivismus zu. Er bereiste weite Teile von Afrika und verbrachte Zeit mit den Rebellen in Eritrea während des Bürgerkriegs. 1977 begann er, für Schwedens größte Nachrichtenagentur, Tidningarnas Telegrambyra, zu schreiben, für die er die meiste Zeit seines erwachsenen Lebens Artikel verfassen und als Grafikdesigner arbeiten sollte. Wie die Figur des Mikael Blomkvist entwickelte er eine Recherchespezialität: Er wollte schwelende rassistische und nationalistische Gruppen enttarnen und an den Pranger stellen, die sich in Europa in den Achtziger- und Neunzigerjahren zunehmend zu einer ernstzunehmenden Bedrohung entwickelten. Er war der skandinavische Korrespondent von „Searchlight“, einem antifaschistischen Magazin in Großbritannien, und gründete dann in Schweden das „Expo Magazine“, das sich dieselbe Mission auf die Fahnen geschrieben hatte. Seine Expertise war so angesehen, dass er bei Scotland Yard eine Vorlesung darüber hielt, wie Neofaschisten in Europa das Internet nutzten, um ihre Aktionen zu koordinieren.

Dieser Abschnitt von Larssons Leben brachte ihn in engen Kontakt mit extremistischer Gewalt sowie mit denen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, sie zu bekämpfen. Dazu gehörte eine Gruppe gewitzter Computerexperten, die bei der Charakterisierung der Hauptfigur der „Millennium“-Serie eine Schlüsselrolle spielten. Larsson musste auch von erster Hand miterleben, welche Risiken seine moralischen Überzeugungen mit sich brachten. Er wurde mit dem Tod bedroht und erlebte mit, wie ein Kollege einem Bombenanschlag auf sein Auto nur knapp entging. Bei „Expo“ arbeitete Larsson auch an einer Anthologie über Ehrenmorde, was seinem Interesse entsprach, Aufmerksamkeit auf den systematischen Missbrauch von Frauen selbst in einer so liberalen Gesellschaft wie Schweden zu lenken.

Obwohl Larsson von Kindesbeinen an ein begeisterter Fan von Science-Fiction war und Freunden wiederholt erzählte, er wolle einen Krimi schreiben, dauerte es doch bis Ende der Neunzigerjahre, bis er ganz still für sich begann, in seinen Ferien und nach der Arbeit einen Thriller zu schreiben, in dem all die Themen verhandelt werden sollten, die ihn persönlich am meisten beschäftigten. Der Titel des Romans war „Männer, die Frauen hassen“. In den englischsprachigen Ländern wurde er später unter dem Titel „The Girl with the Dragon Tattoo“ veröffentlicht, in Deutschland erschien er als VERBLENDUNG. In der Geschichte geht es um zwei Figuren, an denen Larsson all seine Themen abarbeitet: der Journalist Mikael Blomkvist, ein offenkundiges Alter Ego von Larsson, und Lisbeth Salander, die eine Figur war, wie Larsson sie nach eigenem Bekunden noch nie in einem Krimi erlebt hatte, eine disfunktionale Außenseiterin, die nach ihrem eigenen ethischen Kodex lebt. So sehr er auch Blomkvist ähnlich ist, gibt es doch auch zahlreiche Gemeinsamkeiten zwischen Larsson und Salander, angefangen bei ihrem Kettenrauchen hin zu einem Hang für persönliche Abgeschiedenheit.

Larsson schrieb alle drei „Millennium“-Romane, bevor er sie den schwedischen Verlagen als komplette Trilogie vorlegte. Der erste Verlag lehnte die Manuskripte ab. Der zweite, Norstedts Forlag, erkannte das Potenzial, obwohl auch dieser Verlag beim besten Willen nicht vorhersehen konnte, wie sehr die Bücher – und vor allem Salander – den kulturellen Zeitgeist ansprechen würden.

Noch bevor die Bücher überhaupt gedruckt werden konnten, hatte Larsson einen schweren Herzanfall, nachdem er die sieben Stockwerke zu seinem Büro in Stockholm zu Fuß gelaufen war. 2005 wurde VERBLENDUNG posthum veröffentlicht und schlug bei Kritik und Öffentlichkeit ein wie eine Bombe. Der Roman gewann den begehrten Glass Key Award für Best Nordic Novel und entwickelte sich schnell zum Lese-Muss der Saison und schließlich des Jahrzehnts.

Und doch sind es nicht die Ehrbezeichnungen, die Larsson wichtig wären, wenn er sie selbst noch miterlebt hätte, sagt seine langjährige Lebensgefährtin Eva Gabrielsson. In einer Rede vor dem Spanish Observatory on Domestic Violence, das Larsson 2009 posthum einen Preis verlieh, sagte sie: „Stieg Larsson war nicht interessiert an öffentlicher Aufmerksamkeit für ihn als Privatperson. Eine mediale Bekanntheit zu werden, war für ihn undenkbar. Nur für das Geld zu schreiben, ob als Journalist oder als Schriftsteller, wäre ihm ein Graus gewesen. Er wollte nicht auf diese Weise sichtbar sein. Stieg Larsson wollte andere Menschen und Gesellschaften sichtbar machen.“

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