Jakob, Dominik und Oliver sind beste Freunde und entschlossen, in der katholischen Kirche etwas bewegen zu können. Als eines Tages die Polizei Dominik mit aufs Revier bittet, weil ihn ein Junge des sexuellen Missbrauchs anklagt, macht sich Jakob Sorgen um seinen Freund, der alles abstreitet. Und während Oliver nur um Schadensbegrenzung für die Kirchenleitung bemüht scheint, beginnt Jakob eigene Nachforschungen und findet Dinge heraus, die ihn schockieren. Und ihn mit der Frage quälen: Soll er der Anordnung der Kirche folgen? Oder seinem Gewissen? Das Regiedebüt von Gerd Schneider packt das aktuelle hochbrisante Thema des Missbrauchs in der Katholischen Kirche auf: Doch obwohl die „Verfehlung“ des Priesters klar auf der Hand liegt, zeigt der Film nicht anklagend auf die Täter, sondern in kluger Reflektion das hochproblematische Spannungsverhältnis aller Beteiligten auf. Die Macht der Kirche, die Ohnmacht der Opfer, die Verzweiflung der Betroffenen - all das fängt Schneider ein, ohne eindimensional zu urteilen. Dabei wirken Handlung, Dialoge und das Setting immer authentisch und nachvollziehbar. Seine Stärke zieht der Film auch aus der Besetzung. Sebastian Blombergs intensives Spiel als Jakob reflektiert die Zerrissenheit eines „Gottesmanns“ zwischen Freundschaft, Berufung und Gewissen. Beeindruckend, wie sehr sich nach und nach die Zweifel, die Anklage und Abscheu vor dem besten Freund Dominik, den Kai Schumann empathisch verkörpert, immer tiefer in sein Gesicht graben. Die Figur des Oliver, von Jan Messutat glaubhaft verkörpert, steht dazwischen, in dem ehrgeizigen Wunsch nach Karriere und dem Entschluss, die Wahrheit zu ignorieren. Beklemmend eng wirkt die Inszenierung, die Kamera von Pascal Schmit führt nah an die Figuren heran, lässt dem Zuschauer kein Auskommen. Schwere Choralmusik liegt über so mancher Sequenz, die wie eine Bedrohung, wie eine Ermahnung wirkt, keine unbequemen Fragen zu stellen, um das Gefüge nicht in Unordnung zu bringen. Immer wieder zitiert Jakob die Bibel, sucht Hilfe und Trost in den Worten. Am Ende hat er eine Entscheidung getroffen. Sein Blick geht in die Kamera, gerichtet an den Zuschauer. VERFEHLUNG ist ein starkes und beklemmend nahes Psycho-Drama. Eine klassische Tragödie vom Scheitern eines einzelnen Gerechten, der an der Welt verzweifelt.
Jurybegründung:
Nicht, dass hier ein gesellschaftlich relevantes Thema unserer Zeit behandelt wird, macht VERFEHLUNG zu einem sehenswerten und wichtigen Film, sondern viel entscheidender ist, dass Gerd Schneider mit seinem Drehbuch und seiner Regie eine angemessene und überzeugende Form dafür gefunden hat. Erzählt wird aus dem Inneren des Systems heraus: Der Protagonist Jakob ist ein Seelsorger, der wie ein idealer Vertreter der katholischen Kirche dargestellt wird. Er bemüht sich in jeder Situation, das moralisch Richtige zu tun, ist offensichtlich tief gläubig, dabei nicht dogmatisch, sondern einfühlsam und fürsorglich den ihm anvertrauten Häftlingen in einem Gefängnis gegenüber. Seine Integrität wird dadurch hart geprüft, dass einer seiner besten und ältesten Freunde verdächtigt wird, sich an einem Kind vergangen zu haben. Schneider zeigt eindrucksvoll, wie Jakob zuerst solidarisch zu seinem Freund steht, dann bei ihm die Zweifel wachsen und wie erschüttert er ist, als dieser ihm seine Schuld beichtet. Und langsam wird ihm klar, wie taktisch die katholische Kirche mit dieser Verfehlung umgeht. Oliver, ebenfalls ein langjähriger Freund der beiden, ist ein ranghoher Vertreter des Bistums und nutzt die Macht der Kirche, damit der Fall nicht vor Gericht kommt und kirchenintern geregelt wird. Jakob ist moralisch empört darüber und es wird immer deutlicher, dass ihm nur ein drastischer Schritt übrig bleibt, mit dem er seine eigene Existenz opfert, um gerecht zu handeln. Schneider erzählt fast ausschließlich aus der Perspektive von Jakob. So ist der Zuschauer immer auf dessen Informationsstand und kann seine Zweifel, Empörung und Entscheidungen gut nachempfinden. Dabei wird die Geschichte so klar und spannungsreich erzählt wie bei einem guten Kriminalfilm, aber dadurch, dass die Bezüge zu realen, aktuellen Fällen so augenfällig sind, bekommt der Film ein ganz anderes Gewicht. Es kommt dem Film sehr zu nutzen, dass Schneider selber Theologie studierte und sich auf das Priesteramt vorbereitet hat, denn die Hierarchie und Machtstruktur des Systems werden hier so komplex und authentisch dargestellt wie es nur ein Insider kann. Und durch diese Innensicht wird die Kirche immer an ihren eigenen Maßstäben gemessen. Diese werden durch Jakob verkörpert und Sebastian Blomberg spielt ihn mit einer großen inneren Stärke und Verletzlichkeit, durch die der Film viel von seiner emotionellen Kraft und Intensität gewinnt.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)