Paula ist 16 Jahre alt. Alles an ihr ist ganz normal. Doch innerhalb ihrer Familie ist Paula ein Sonderling. Denn im Gegensatz zu ihren Eltern und ihrem Bruder ist sie als einzige nicht gehörlos. Und so muss Paula für ihre Familie immer wieder als „Dolmetscher“ fungieren, sich um das Geschäft kümmern und ihre eigenen Wünsche hintenanstellen. Das ändert sich jedoch, als ein Gesangslehrer in der Schule ihr Talent als Sängerin erkennt und sie motiviert, bei einem Casting mitzumachen. Zunächst sträubt sich das Mädchen. Und auch ihre Eltern sind alles andere als begeistert. Doch nach und nach erkennt Paula, dass es um ihr eigenes Leben geht. Und dass auch Kinder lernen müssen, loszulassen. Mit großen Bildern und noch größeren Gefühlen erzählt Regisseur Eric Lartigau von einem jungen Mädchen, das hin und hergerissen ist zwischen der Verantwortung für die Familie und der Verwirklichung eigener Träume. Dabei beherrscht der Film die Gratwanderung zwischen komischen und gefühlvollen Momenten perfekt. Die Bürgermeisterkandidatur des Vaters, der ungeachtet seines Handicaps entschlossen ist, gegen seinen Konkurrenten anzutreten, sorgt für manch amüsante Episode, ebenso wie die vielen Momente, in denen Paula zum Übersetzen für die Eltern gezwungen ist, wie beispielsweise ein Besuch beim Frauenarzt. Und immer wieder gelingen Lartigaus Film auch Momente, die den Zuschauer tief im Herzen berühren. Das liegt auch an der unglaublich tollen Besetzung, allen voran Louane Emera als Paula, die hier ihre erste Rolle ergreifend und herzerfrischend spielt. Und wenn sie mit wunderschöner klarer Stimme ein Lied für ihre Eltern singt und es in Gebärdensprache übersetzt, dann begreift man die Liebe, die zwischen den Figuren existiert. Auch der Rest der Familie, die beste Freundin und der Gesangslehrer spielen ihre Rollen grandios, aus den Charakteren wird eine Gemeinschaft, die gegen alle Widerstände zusammenhält. Und auch wenn Paula am Ende ihren Weg gehen wird, so ist sie doch immer ein Teil der Familie. Durchzogen wird der Film von den romantischen Chansons des Sängers Michel Sardou, die das emotionale Herz der Geschichte bilden. VERSTEHEN SIE DIE BÉLIERS? ist ein zauberhafter Film über eine Familie, die herrlich anders ist und die Zuschauer durch Wärme, Witz und Charme erobert. Ein berührender und unterhaltsamer Film, zum ins Herz schließen schön.
Jurybegründung:
Die Béliers - das sind Vater, Mutter, der 14-jährige Sohn Quentin und die 16-jährige Paula, die Außenseiterin der kleinen Bauernfamilie. Denn sie kann als einzige hören und sprechen. Alle anderen sind gehörlos und deshalb in vielerlei Hinsicht auf die Unterstützung der tüchtigen Paula angewiesen, die sich um den Käseverkauf auf dem Markt der Kleinstadt ebenso kümmern muss wie um die Verhandlungen mit der örtlichen Bank und um den Tierarzt, der gemeinsam mit ihr Kälbchen „Obama“ zur Welt bringt. Dazu ist Paula eine durchaus tüchtige Schülerin, die allerdings durch die vielen Anforderungen ständig müde ist und nicht gerne auf Partys geht. Ihre große Stunde schlägt, als der exzentrische Musiklehrer der Schule entdeckt, dass Paula nicht nur sprechen, sondern auch wunderschön singen kann. Und so muss sie sich entscheiden, ob sie ihr Elternhaus verlässt, um in Paris Musik zu studieren, oder ob sie dann doch nicht den Mut aufbringt, ihre Familie zu verlassen und sich und ihre Familie damit neuen Herausforderungen auszusetzen.
Die Problematik erinnert an „Jenseits der Stille“, den Caroline Link vor bald 20 Jahren gedreht hat, und in dem auch ein junges Mädchen, das in einer taubstummen Familie aufwächst, sich neu orientieren muss. Der besondere Charme und Zauber dieser französischen Variante des Themas liegt in den Figuren des Films, vor allem der jungen Paula und ihrer Familie, deren alltägliche Sorgen und Freuden mit viel Humor, ohne billige Effekte und mit großer Empathie gezeigt werden. Louane Emera, die 18-jährige Darstellerin der Paula, überzeugt in ihrem Auftritt in der Rolle eines unsicheren Mädchens zwischen Pflicht und eigenen Wünschen, deren Hilflosigkeit sich auch in der Körpersprache ausdrückt, und ihr großer Auftritt bei einem Vorsingen bei Radio France mit einem Lied, das die Liebe zu den Eltern, aber auch die in dieser Lebensphase dringend notwendige Loslösung von den Eltern thematisiert, gehört zu den vielen anrührenden Momenten des Films, der aber an keiner Stelle zu sentimental oder gar larmoyant wirkt. Regisseur Eric Lartigau erzählt ein Coming of Age der etwas anderen Art, und seine visuellen Schilderungen des Lebens der gehörlosen Bauernfamilie balancieren geschickt zwischen Drama und Komödie. Die Musik des Films, darunter die wunderschönen Chansons von Michel Sardou, rundet diese Familiengeschichte ab, in der ein altes Thema - die Schmerzen des Erwachsenwerdens für Kinder und Eltern - auf liebenswerte Weise variiert wird.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)