Vorsicht, sollte man vorab sagen: Nach relativ gradlinigen, oft reduziert ausgestatteten Adaptionen von tragikomischen Theaterstoffen knüpft Altmeister Alain Resnais hier stärker an sein experimentelles Frühwerk an, weshalb Irritationen beabsichtigt sind. Mit langen Kamerafahrten, ironischen Off-Kommentaren, teils künstlichem Dekor sowie skurrilem Humor entwickelt sich eine eigenwillige Geschichte, die stets unvorhersehbar bleibt und rätselhafte Voten schlägt. Fast wie in Ernest Hemingways unkonventionellem Kurzroman Haben und Nichthaben, der nach dem Ableben des Protagonisten noch weiter in unterschiedliche Richtungen mäandert, erzählt Resnais bei der Bearbeitung von Christian Gaillys Roman LIncident mehr assoziativ, statt sich einer gradlinigen Struktur zu unterwerfen.
Deshalb an dieser Stelle zu etwas anderem: Befragt, mit welchen Filmemachern sie gerne einmal zusammen arbeiten würde, sagte Sandrine Bonnaire, Alain Resnais zähle zu ihren großen Idolen. Einst wollte sie bei ihm sogar eine kleine Rolle in einer Opernverfilmung übernehmen, doch letztlich scheiterte die Finanzierung. Allerdings lehnte der wählerische Star nun das Drehbuch zu Vorsicht Sehnsucht ab, da ihr der zugedachte Part zu uninteressant erschien. Stattdessen schlüpfte die derzeit viel beschäftigte Anne Consigny in die Haut der wesentlich jüngeren Ehefrau von Protagonist Georges. Tatsächlich gedenkt ihr die Story keine entscheidenden Momente zu, doch davon abgesehen verkörpert das Ensemble ohnehin stärker ein divergierendes Gesamtbild.
Aus seinem Stammteam trifft man lediglich André Dussollier als verträumter, insistierender Stalker und Resnais Ehefrau Sabine Azéma als Opfer seiner Obsessionen/Gedankenwelt wieder. Aus Neugier finden die einsame Zahnärztin und der eigenwillige Frühpensionär doch noch zueinander, müssen dafür aber einen hohen Preis bezahlen. Einen weiteren Star, Edouard Baer, kann man nur in der Originalfassung hören, doch als allwissender Erzähler nimmt er eine entscheidende Position ein. Das Prinzip, Off-Kommentar und Kamerafahrten in gänzlich unterschiedliche Bahnen zu lenken, erinnert an Resnais Klassiker Letztes Jahr in Marienbad, wo ebenfalls Bewusstseinsströme, introspektive Wahrnehmung und Vorstellungskraft kombiniert wurden. Nur spielt skurriler Humor dieses Mal eine wichtigere Rolle.
Resnais wechselt nicht nur stets die narrative Richtung. Zugleich verbindet er unterschiedliche Musikstile, realistische und künstliche Ausstattung, Handlungsfäden und Zeitebenen zu einem Reigen über Zufallsmacht, menschliche Widersprüchlichkeiten und unerfüllte Gefühle. Ebenso kommt seine Liebe zum klassischen Kino ein weiteres Mal zum Zug, sowie das Fliegermotiv (unter Einbeziehung des Klassikers Die Brücken von Tokyo-Ri) den ganzen Film durchzieht. Das Geschehen kulminiert in einem recht abrupten, rätselhaften Schluss, der die Handlungsfäden keineswegs zu einer eindeutigen Resolution führt. Wie Madame Bonnaire mag ihm bei diesem Trip, wenn auch aus anderen Gründen, sicherlich nicht jeder Zuschauer folgen, doch es beweist, dass Alain Resnais weiterhin zu den ungewöhnlichsten, experimentierfreudigsten französischen Filmemachern zählt.
Fazit: Surreale, verwickelte Ensemblekomödie um unerfüllte Bedürfnisse und unterschwellige Gefühle voll absurdem Witz.