Mit WACKERSDORF erzählt Oliver Haffner die Geschichte des Protestes gegen die Wiederaufbereitungsanlage im Jahr 1985 aus der Perspektive des Landrats Hans Schuierer - der sich wie David gegen Goliath mit der bayerischen Landesregierung unter Franz-Josef Strauß anlegte.
Landkreis Schwandorf, Oberpfalz, 1985. Landrat Hans Schuierer steht unter Druck. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Region ist strukturschwach, die Menschen sind perspektivlos. Da kommt das Angebot der Regierung, in Wackersdorf eine Wiederaufbereitungsanlage (WAA) für abgebrannte Kernstäbe aus Atomreaktoren zu bauen, genau richtig. 3000 Arbeitsplätze könnte das bringen, der Landkreis wäre saniert. Doch nicht jeder in der Bevölkerung teilt die allgemeine Begeisterung. Denn die Folgen für Umwelt und Gesundheit sind ein Risiko, das keiner wirklich kalkulieren kann. Für Schuierer ein Sturm im Wasserglas. Was soll schon falsch sein an diesem Deal? Doch dann sieht er, mit welcher Radikalität der Freistaat Bayern gegen den Protest vorgeht. Er fängt an, die Pläne des Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß kritisch zu hinterfragen - und stellt sich diesem schon bald mit aller Entschlossenheit entgegen. Im Jahr 1989 wurde der Bau der WAA in Wackersdorf eingestellt. Die Proteste, an denen zeitweise über 100.000 Menschen teilnahmen, hatten seit Baubeginn im Jahr 1985 nie abgerissen und kosteten drei Menschen das Leben. Oliver Haffners Film WACKERSDORF arbeitet die Ereignisse fiktional auf und wählt mit dem Landrat Hans Schuierer die Perspektive des Mannes, der in der Presse „Titan von Wackersdorf“ genannt wurde. Johannes Zieler spielt Schuierer nicht als ungebrochenen Helden, sondern als einen Mann, der den schmalen Grat zwischen Politiker und Privatmensch wandelt und oftmals nicht weiß, was das Richtige ist. Schuirers Emotionen sind zurückhaltend, doch seine Entschlossenheit drückt sich in seinem eisernen Blick aus. Das gesamte Ensemble überzeugt, wie etwa Anna-Maria Sturm als protestierende Mutter, Peter Jordan als Verbündeter im Amt oder Fabian Hinrichs als ministerialer Handlanger. Die Dialoge im Drehbuch von Haffner und Gernot Krää sind spärlich, doch dank der authentischen Verortung im Milieu zählt oft nicht, was gesagt wird, sondern wie. Haffner inszeniert dazu gekonnt mit Blicken, Gesten und kleinen zwischenmenschlichen Momenten, die die Zerrissenheit des gesamten Landkreises zeigen. Dazu kommen eine sorgfältige Ausstattung und ein begleitender Score, der den Film in seiner Mischung aus Lakonie und Melancholie perfekt spiegelt. Wie groß die historische Dimension der Situation damals war, zeigt sich in den Nachrichtenbildern, die Haffner einbaut und die deutliche Parallelen zu aktuellen Ereignissen erkennen lassen. Am Ende des Films steht der Reaktorunfall in Tschernobyl 1986, der ganz Deutschland in Schrecken versetzte. Und für Wackersdorf die Wende brachte.
Jurybegründung:
Der Name „Wackersdorf“ ist inzwischen zum Synonym für vieles geworden. Für eine Volksbewegung, für den Kampf gegen Atomkraft und auch für die fragwürdige Nähe, die Industrie und Politik verbindet. Die realen Hintergründe des Geschehens von vor 35 Jahren sind darüber fast in Vergessenheit geraten.
Insofern wertete die Jury WACKERSDORF auch als ein genauso interessantes wie lehrreiches Stück aus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. WACKERSDORF hat das Zeug zum politischen Lehrstück, denn das Politdrama vermag Parallelen zu zeitgenössischen Projekten (Hambacher Forst) aufzuzeigen.
Oliver Haffner berichtet in seinem Spielfilm weniger von der deutschlandweiten Mobilisierung gegen Kernkraft als von dem, was sich im Vorfeld der massiven Proteste in der strukturarmen Oberpfalz zugetragen hat. Haffner vermag es, die bedrückende Atmosphäre wieder aufzubauen, die damals im Landkreis Schwandorf geherrscht hat. Hin- und hergerissen zwischen den Gefahren, die von einem atomaren Großprojekt ausgehen, und weiterer Verelendung durch steigende Arbeitslosigkeit waren die Bewohner seinerzeit gefragt, Stellung zu nehmen. Doch, wie der Film sehr schön zeigt, diese Entscheidung wurde von vornherein von Lobbyismus und politischem Kalkül beeinflusst.
Die Anlage sei eine „blitzsaubere Sache, Hightech und so“, sagt im Film der Umweltstaatsminister und fügt schließlich hinzu: „mindestens 3000 neue Arbeitsplätze.“ Verständlich, dass ein Landrat bei einem solchen Angebot schlecht „Nein“ sagen kann. Umso beachtenswerter, dass sich SPD-Landrat Hans Schuierer damals dann doch für die Umwelt und gegen die WAA entschieden hat. - Während Fabian Hinrichs und Frederic Linkemann als Atomlobbyist und Staatssekretär im Film beinahe noch satirische Züge entfalten, ist Johannes Zeiler als Landrat die Entscheidungs- und Gewissensnot sehr genau anzusehen. Überhaupt kann Regisseur Haffner auf einen hervorragenden Cast zurückgreifen. Bis in die kleinsten Rollen gut besetzt ist dem Film auch in dieser Hinsicht die thematische Zuwendung anzumerken.
Angesichts der noch immer anhaftenden thematischen Brisanz hätte Haffner aus der Geschichte sicherlich auch einen Politreißer machen können. Der Regisseur hat sich allerdings anders entschieden und erzählt die Story mit beinahe provinzieller Ruhe. Eine weise Entscheidung, wie die Jury glaubt, denn diese Ruhe ist nicht harmlos oder sanft, sondern Ausdruck der bedrückten Stimmung, die im Landkreis geherrscht hat. Während die Oberpfälzer sich schwer mit einer Entscheidung tun, lässt die CSU-Regierung in München keinen Zweifel daran, wem sie sich verpflichtet fühlt: Der Atomwirtschaft und ihrem Geld. Die Amigo-Affäre lässt grüßen. Schließlich, auch das zeigt der Film, lässt die Münchner Regierung den widerspenstigen Landrat faktisch entmachten. Die bis heute gültige „Lex Schuierer“ erlaubt es der Landesregierung, die für Bauvorhaben notwendige Zustimmung des Landrats zu ignorieren.
Lediglich die Kamera-Arbeit wurde von einigen Jurymitgliedern kritisiert, da sie in manchen Sequenzen nicht die volle Größe des Kinobildes zu nutzen weiß. Sie fokussiert eher die Darsteller und nimmt so den Szenen ein wenig die Spannung.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)