FBW-Pressetext:
Am bayerischen Walchensee gibt es ein Ausflugscafé, das von der Familie der Filmemacherin Janna Ji Wonders 1920 eröffnet wurde und bis heute betrieben wird. Wonders begibt sich auf die Spuren ihrer Ahnen und erzählt die Geschichte ihrer Familie anhand der charismatischen, geheimnisvollen und eigenwilligen Frauen, ohne die der Ort am Walchensee niemals derselbe gewesen wäre. Eine immense Bild- und Geschichtenrecherche und die liebevolle Sicht auf die Geschichte macht diesen Dokumentarfilm zu etwas ganz Persönlichem, in dem sich gleichzeitig viele Zuschauende wiederfinden können.
Für ihr Langfilmdebüt hat sich Janna Ji Wonders ein sehr persönliches Thema ausgesucht. Doch trotz des autobiografischen Ansatzes, der auch die Zuschauenden schnell emotional an die Familiengeschichte bindet, ist der Film viel mehr als „nur“ eine persönliche Geschichte. WALCHENSEE FOREVER ist ein Film über starke Frauen, die durch die Jahrzehnte immer auch ein Spiegelbild ihrer Zeit darstellen und sich gegen die Konventionen und das Diktat des ungebrochenen Patriarchats stellen. Da ist die Urgroßmutter Apa, die stolz und streng das Geschäft in Gang bringt. Da ist die Großmutter Norma, die zäh und fleißig alles tut, um das Café bestmöglich weiterzuführen, 104 Jahre alt wird und für Wonders eine unverzichtbare Quelle für Anekdoten und Erinnerungen ist. Und da ist ihre Mutter Anna, die sie als Kind immer wieder gefilmt hat. Und die den mysteriösen Tod ihrer Schwester nie ganz verwunden hat. Die geschickte und eindrucksvolle Montage von Editorin Anja Pohl macht deutlich, wie lückenlos Wonders‘ Recherche ist und mit welch exaktem erzählerischen Konzept sie die roten Fäden der Familienchronik ineinander webt, um dabei auch eine Art Psychogramm der deutschen Gesellschaft der letzten 100 Jahre zu erschaffen. Was jedoch bei all der Akribie und Rechercheleistung nie verloren geht, ist das tiefe Gefühl einer emotionalen Bindung an die porträtierten Frauen. Wonders erzählt eine Familiengeschichte, nach deren Ende man das ehrenvolle Gefühl hat, auf irgendeine Weise dazuzugehören.
FBW-Jury-Begründung:
„Ich bin eine Fee“ sagt das kleine Mädchen auf dem Schmalfilmstreifen und als ihre Mutter hinter der Kamera nachfragt: „Und woher kommst du?“, haucht es die Antwort: „Aus Walchensee!“ Dann will das Mädchen der Mutter Fragen stellen und die beiden tauschen ihre Plätze vor und hinter der Kamera. Heute, fast 40 Jahre später, steht das Mädchen von einst noch immer hinter der Kamera. Janna Ji Wonders ist Regisseurin geworden und hat mit WALCHENSEE FOREVER einen Dokumentarfilm über fünf Generationen ihrer Familie gemacht. Alles andere als ein Heimatfilm… und dann irgendwie doch.
Nur knapp 75 Kilometer von München entfernt liegt der Walchensee. Seit 100 Jahren ein Naherholungsgebiet für die Großstädter und seit dieser Zeit befindet sich auch das Café der Familie Werner direkt am See. Hier beginnt Janna Ji Wonders‘ Film über die Schicksale der Frauen ihrer Familie. Wonders hat sich dafür durch ein profundes Familienarchiv gearbeitet. Ganz offenbar hat jede Generation, ganz nach Technik, Zeit und Befähigung, Wert auf das Festhalten sehr persönlicher Momente gelegt. Und so finden sich heute in intimen Briefen, Fotografien und unverfälschten historischen Schmalfilmaufnahmen Hinweise auf Gemüt und Seelenleben ihrer Vorfahrinnen und auch auf diverse Schicksalsschläge.
WALCHENSEE FOREVER setzt vor dem Ersten Weltkrieg ein. Nach dem frühen Tod ihrer Tochter eröffnet Wonders‘ Urgroßmutter dort das Café Bucherer. Hier kommt auch die Großmutter zur Welt. Norma heiratet einen Künstler, wird von ihm verlassen und lebte bis zu ihrem 104. Geburtstag im Haus am Walchensee.
Janna Ji Wonders‘ Leistung ist, aus den Dokumenten extrahiert zu haben, was abseits von Idealisierung und Schönfärberei einen Blick auf den Alltag der Familie zulässt. Mindestens genauso groß ist aber auch ihre Leistung, das umfangreiche Material so aufzubereiten, dass das Publikum von der Familiengeschichte gefangen genommen wird und bleibt. WALCHENSEE FOREVER ist packend wie ein Thriller, und so leidenschaftlich wie manch gute Romanze.
Anders als die Großmutter wird Wonders‘ Mutter Anna von Fernweh gepackt. Zusammen mit ihrer Schwester Frauke bereist sie in den 60er Jahren Amerika. Mit Hackbrett und Gitarre treten sie in Mexiko auf, erleben in Kalifornien den „Summer of Love“, landen irgendwann in einem Ashram in Indien und scharen sich, kaum nach Deutschland zurückgekehrt, um Rainer Langhans und seine Kommune. So provinziell der Walchensee auch wirkt, das Leben der Frauen aus Wonders‘ Familie scheint illuster. Im Spannungsfeld von Tradition und Fortschritt müssen sie sich für einen Weg, einen Lebensentwurf entscheiden. Aber immer wieder sind die Schicksale der Vorfahrinnen auch eng mit ihren Abhängigkeiten von Männern verknüpft und das hat seinen Preis.
Mal spannend, mal zart, immer aber völlig authentisch und frei von Kitsch erzählt WALCHENSEE FOREVER eindrucksvolle Familiengeschichten. Trotz vieler sehr persönlicher, mitunter intimster Einblicke wahrt Janna Li Wonders einen würdevollen Umgang mit den Personen. Ihre Archivauswahl ist so umfassend, dass sich die Jury immer wieder mal wünschte, selber auch auf einen solchen Fundus zurückgreifen zu können.
WALCHENSEE FOREVER baut Generationsbrücken und ist doch so viel mehr als ein gelungenes Familienporträt oder ein kritischer Blick auf zeitgenössische Zwänge und Freiräume. Der Film amalgamiert Kunst und Familie. Er verbindet persönliche Geschichte mit dem künstlerischen Schaffen einer Familie und erzeugt aus familiärer Nähe und inszenatorischer Distanz ein faszinierendes Kunstwerk. WALCHENSEE FOREVER ist feinsinnig und kreativ, inspirierend und originell und im Urteil der Jury darum auch „besonders wertvoll“.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)