Weißer Oleander: Während die Mutter für den Mord an ihrem Lebensgefährten eine Haftstrafe verbüßt, sucht ein 13-jähriger Teenager nach einer neuen Familie und nach sich selbst.
Mit der geballten weiblichen Starpower von Michelle Pfeiffer, Renee Zellweger und Robin Wright Penn rückt Doku- und TV-Spezialist Peter Kosminsky („Stürmische Höhen“) in seiner zweiten Spielfilmarbeit dem 450 Seiten starken Bestseller von Janet Fitch zuleibe: ein anrührendes und widerspenstiges Gedicht über das Überleben und Finden der eigenen Stimme auf der Schattenseite des American Dream, ein Poem aus zerbrochenen Familien, verlassenen Frauen, Einsamkeit, Selbstmord, Dysfunktionalität, Gewalt und Manipulation. Es beginnt wie ein federleichter kalifornischer Traum aus einem Fleetwood-Mac-Song, der sich bei der dornigen Reise einer sensiblen Teenagerin durch Pflegefamilien und -heime in der Los-Angeles-Gegend aber zunehmend zum Alb wandelt, der Taten herausfordert.
Ein Hauch von Magie und Wunder, etwas Märchenhaftes liegt in den frühen Nachtszenen von „White Oleander“, als könne Astrid, die junge Heldin der Geschichte, feenhaft und unschuldig mit ihren langen blonden Haaren und wallenden weißen Gewändern, die heile Welt vor ihrem langen Leidensweg nur noch als idealisierte, schöngefärbte Erinnerung beschwören: Allein großgezogen von ihrer ebenso schönen wie starken Mutter Ingrid, einer begabten Malerin, die Michelle Pfeiffer mit großer Intelligenz und beachtlicher Kontrolle spielt, sieht Astrid die Welt zunächst mit großen Kinderaugen, aber doch entschieden aus der bisweilen harschen Sicht der Mutter, die ultimative Autonomie und Selbstverantwortung predigt. Schnell sieht sich Astrid gezwungen, diese Worte in die Tat umzusetzen, als Ingrid ihren Liebhaber tötet und ins Gefängnis kommt. Für Astrid beginnt ein Leidensweg durch die Instanzen: zum gestreng-religiösen Regiment einer White-Trash-Pflegefamilie, zu einem deprimierenden Pflegeheim, wo das Recht des Stärkeren zählt, zu einem harmonischen Malibu-Zuhause, in dem Astrid in einer Hollywoodschauspielerin eine gleichberechtigte Freundin findet, bis diese von ihrem Mann verlassen wird, zu einer gleichgültigen Lebenskünstlerin, die aufmüpfige Mädchen nur deshalb bei sich aufnimmt, um Geld vom Staat zu bekommen. Alldieweil wird Astrid von ihrer Mutter begleitet, deren Einfluss und destruktive Weltsicht sich wie ein Schatten über den Film legt. Anders als in der Vorlage, in der Fitch die einzelnen Stationen auf Astrids Weg als separate Fallstudien in vielen Details präzise durchdekliniert, will Kosminsky sie bestenfalls als Stimmungsbilder oder Katalysator für Astrids Entwicklung skizzieren. Und doch wirkt sein Film nie vage, nie oberflächlich: Denn die Wandlung seiner von Newcomerin Alison Lohman stets überraschend und echt gespielten Heldin ist überzeugend. Mit jeder neuen Begegnung mit einer der faszinierenden Randfiguren der Geschichte - die überkandidelte und paranoide Southern Belle Starr (Wright Penn), der verständnisvolle angehende Comic-Künstler Paul (Patrick Fugit aus „Almost Famous“), der Astrids Zerrissenheit mit seinen Zeichnungen Ausdruck verleiht, die liebevolle und unglückliche Schauspielerin Claire (Zellweger), die Pflegeväter, die Astrids Verlangen nach dem leiblichen Vater, den sie niemals kannte, verstärken - macht sie immer weiter Schritte in Richtung Unabhängigkeit. Gleichzeitig wandelt sich das Bild der Mutter, die Astrid als einzige Konstante in ihrem Leben regelmäßig im Gefängnis besucht: Sie entpuppt sich als wahrer Feind, dessen verheerenden Einfluss es zu konfrontieren gilt. Fast unmerklich stellt Kosminsky die Welt auf den Kopf und fordert den Zuschauer auf, die eigenen Überzeugungen in Frage zu stellen: In Schatten und Schmerz entdeckt er Schönheit und Solidarität, während die Gefahr vom vermeintlichen Hort der Harmonie ausgeht. „White Oleander“ ist ein faszinierender, aber auch trügerischer Film, der die Essenz rebellischer Musikerinnen wie Fiona Apple oder Ani DiFranco in Bildern einfängt, die unsere Reaktion herausfordern, weil sich ihre Bedeutung oft erst auf den zweiten Blick erschließt. Spannend und aufregend ist das, ein purer Glücksfall für das Kino. ts.