FBW-Pressetext:
Ein Film über die Macht gelebter Demokratie - nordisch unaufgeregt und unglaublich spannend.
In seinem Dokumentarfilm kehrt der Regisseur Christoph Eder in seinem Heimatdorf, dem Ostseebad Göhren auf Rügen, der Frage nach, wie sich aktiv gelebte Demokratie heute umsetzen lässt. Auch gegen Wirtschaftsinteressen. Spannend wie ein Spielfilm entwickelt sich auch dank großartiger Protagonist*innen ein demokratischer Kampf um die Mitbestimmung um das Göhrener Schicksal.
Von Anfang an macht Christoph Eder den Zuschauer*innen klar, dass sein Film viele persönliche Züge trägt. Immerhin ist Eder in Göhren aufgewachsen. Diese persönliche Note ist es, die beim Betrachten noch stärker in die Geschichte hineinzieht. Denn was Göhren seit mittlerweile Jahrzehnten spaltet, ist ein Konflikt, der stark von Menschen und ihren persönlichen Motiven geprägt ist. Auf der einen Seite der Großunternehmer, der sich immer mehr Baugrund in Göhren sichert und die Menschen bei sich weiß, die vor allen Dingen wirtschaftliche Interessen verfolgen und in dem schon jetzt sehr touristischen Ostseebad das monetäre Potenzial sehen. Und dann die Bürger*innen, die den Raubbau an der Natur stoppen wollen. Weil sie auch an zukünftige Generationen denken und ihnen ein lebenswertes Göhren hinterlassen wollen. Dementsprechend hitzig sind die Diskussionen, die Eder im Gemeinderat begleitet. Ein Glücksgriff für den Film sind die starken Protagonist*innen, die für ihre Sache kämpfen und, egal welche Position sie vertreten, ihre Heimat wirklich zu lieben scheinen. Eder selbst mischt sich nicht in diese Diskussionen ein, erläutert zwar, doch interpretiert nicht. Doch die Montage, mit der er immer wieder auch Erinnerungen an seine unbeschwerte Kindheit einbaut, sagt mehr als jeder Off-Kommentar. Die Entscheidung der Göhrener Bürger, wer nun im Gemeinderat das Sagen hat und über die Zukunft des Dorfes entscheidet, trifft in der Inszenierung genau den richtigen Ton. Unaufgeregt, aber durch die Aktualität und Relevanz des Themas und die exzellente Montage, hochspannend wie ein Krimi. WEM GEHÖRT MEIN DORF? ist viel mehr als ein persönlicher Film über einen regionalen Konflikt. Es ist ein Film über die Kraft der politischen Basis und die Macht von gelebter Demokratie. Ohne die eine Gesellschaft nicht funktionieren kann.
FBW-Jury-Begründung:
In seinem Dokumentarfilm kehrt der Regisseur Christoph Eder in sein Heimatdorf zurück, das Ostseebad Göhren auf Rügen, wo die Einwohner*innen über die Zukunft des beliebten Urlaubsortes streiten. Hier wird der Gemeinderat seit Jahren von einer Gruppe von vier Männern dominiert, genannt die „Vier von der Stange“, die stets die Hotelprojekte des nordrhein-westfälischen Investors Wilfried Horst unterstützen. Als dieser ein Bauvorhaben in einem Naturschutzgebiet plant, regt sich erstmals Protest. Die aufmüpfigen Bürger*innen merken bald, dass sie nur dann eine Chance haben, die malerische Landschaft zu schützen, wenn sie bei der Kommunalwahl die Mehrheit im Gemeinderat erringen. Filmemacher Christoph Eder begleitet diesen Prozess und dokumentiert dabei nicht nur die Kämpfe in seinem Heimatort, sondern präsentiert ein engagiertes Plädoyer für gelebte Demokratie.
Sehnsuchtsort Ostsee - wie soll es hier aussehen: Wie im Home Video von Christoph Eder, in dem er als Kind ganz allein mit seiner Familie am weiten, naturbelassenen Strand im Wasser planscht, oder wie für die heutigen Bustouristen, die bei ihrer Ankunft klar eingestimmt werden: links gibt es Fischbrötchen, rechts gibt es Bratwurst, und vorn ist der Badestrand? Und vor allem, wie soll es für die Menschen aussehen, die hier zu Hause sind? Diese Fragen stellt man sich wohl überall an den deutschen Küsten, aber in Göhren auf Rügen kam der touristische Fortschritt in rasantem Tempo gleich nach der Wende, als westdeutsche Investor*innen in den Osten reisten, um sich die Sahnestücke zu sichern. In Göhren war es Wilfried Horst aus Nordrhein-Westfalen, der erst das ehemalige Heim des Gewerkschaftsbundes kaufte und nach und nach fast den gesamten Ort - demokratisch legitimiert durch das Votum des Gemeinderats. Die Göhrener*innen wissen, dass sie das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen können, aber als die Bebauung des bisher naturbelassenen Südstrands droht, planen sie die Revolution.
Christoph Eder begleitet diesen Prozess mit viel Engagement und Empathie und macht die widerstreitenden Interessen schon durch die Auswahl seiner Protagonist*innen deutlich, die unterschiedliche Perspektiven und gegensätzliche Positionen einnehmen. Der Regisseur tritt allen unvoreingenommen gegenüber, gibt ihnen Raum und denunziert niemanden. Dabei verschweigt er nicht, welche Sichtweise er selbst auf Göhren hat und wo seine Sympathien liegen. Dazu tragen nicht zuletzt die wunderbaren Videoaufnahmen seiner Familie bei, die in die Nachwendezeit zurückführen, und die ihn selbst quasi als Vorreiter des Protests zeigen, als er in einer Initiative von Jugendlichen der Gemeinde den Bau einer Skaterbahn abtrotzte. Da er im Ort bekannt ist, braucht er sich auch im Film nicht zu verstecken. Er kann mitreden über die Zukunftsfrage: Braucht Göhren mehr touristische Investitionen, oder den Schutz der Natur, um die Einzigartigkeit des Ortes zu bewahren?
Der Filmemacher begleitet die Protagonist*innen zu Sitzungen des Gemeinderats, bei denen die Tageordnungspunkte kaum erkennen lassen, welche Themen sich dahinter verbergen und tatsächlich im öffentlichen wie nicht-öffentlichen Teil verhandelt werden. Er zeigt, wie sich trotz aller Einwände bei der Abstimmung die „Vier von der Stange“ durchsetzen, und er wird Zeuge der Resignation des Bürgermeisters, der nach fünf Jahren aus dem Amt scheidet, weil nicht alle gewählten Gemeindevertreter*innen zum Wohl der Gemeinde handeln, sondern sich von „Befindlichkeiten“ leiten lassen. Da gibt es Freundschaften, Partikularinteressen, vielleicht auch Begünstigung. Fast alle der 1.300 Göhrener leben vom Tourismus und profitieren mehr oder weniger von den Projekten des Investors. Einige sind dadurch aber auch beeinträchtigt oder in ihrer Existenz bedroht. Der Einzige, der den ganz großen Profit aus dem Ort zieht, ist der Investor selbst. Vieles darf im Ort aber nicht laut gesagt werden, weil Investor Horst mit Unterlassungsklagen droht.
Dabei deckt der Film skandalöse Praktiken auf, wie die Übertragung der Parkflächen, die der Gemeinde zuvor 80.000 Euro jährlich einbrachten, für gerade einmal 20.000 Euro an den Investor, der an gleicher Stelle ein Parkhaus errichten will. Während die einen die jährlichen Mindereinnahmen von 60.000 Euro beklagen, vertreten die anderen die Meinung, dass eine Gemeinde nicht dazu da sei, Geld zu verdienen. Bei diesen Konflikten wird aber auch deutlich, dass die ehrenamtlichen Gemeindevertreter*innen bei allem Engagement keine Fachleute sind und gegenüber dem Investor mit seinen gewieften Jurist*innen und Architekt*innen, die zig Bauanträge stellen und immer wieder variieren, stets das Nachsehen haben. Gerade in der Lokalpolitik, deren Entscheidungen die Bürger*innen ganz direkt betreffen, sind die Kräfte völlig ungleich verteilt.
Christoph Eder manövriert seinen Film geschickt und unaufgeregt durch dieses Dickicht von persönlichen Motiven, gegenseitigen Abhängigkeiten und Verpflichtungen und zeigt seinen Heimatort als Mikrokosmos, in dem der Kampf zwischen den Interessen Einzelner und dem Gemeinwohl in Zeiten des modernen Tourismus exemplarisch deutlich wird. Die Kamera kommt den Protagonist*innen sehr nah, stellt aber niemanden bloß, und wahrt, z.B. bei den Gemeinderatssitzungen, die nötige Distanz. Wunderschöne Landschaftspanoramen machen sinnlich klar, was bei der Auseinandersetzung auf dem Spiel steht. Die exzellente Montage fügt das alles so geschickt zusammen, dass die Komplexität des Themas und die Konfliktlinien auch für Außenstehende klar erkennbar und nachvollziehbar werden. So entsteht ein extrem spannender Film über das Funktionieren der Demokratie.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)