Rostock, August 1992. Stefan ist gerade mit der Schule fertig, hat keinen Job, keine Perspektive. Seinen Freunden in der Clique geht es genauso. Zusammen hängen sie ab, trinken und gammeln rum. Dabei wächst in ihnen zunehmend der Frust. Und die Wut auf die Politiker, die ihrer Meinung nach nur die Ausländer beschützen, die in Scharen ins Land kommen. Immer schärfer wird die Stimmung innerhalb der Bevölkerung, die sich am Abend des 24. August im Stadtteil Lichtenhagen in purer Gewalt entlädt. Es fliegen Molotow-Cocktails, Häuser brennen, die Menge klatscht. Und Stefan und seine Freunde stehen mittendrin. WIR SIND JUNG. WIR SIND STARK ist der zweite Spielfilm des Regisseurs Burhan Qurbani, der zusammen mit Martin Behnke auch das Drehbuch verfasst hat. Der Film behandelt einen einzigen Tag, der sich in das kollektive Gedächtnis Deutschlands eingeprägt hat. Es war der Tag, an dem Polizei und Politik hilflos und ohnmächtig zusahen, wie rechtsradikale Menschen Ausländer nicht nur offen bedrohten, sondern angriffen. Doch neben den Ereignissen, die Qurbani erschreckend nah und authentisch inszeniert, konzentriert sich der Film auf die Perspektive der Jugendlichen der damaligen Zeit. Stefan und seine Freunde stehen für eine Generation junger Menschen, die arbeits- und somit auch perspektivlos war und sich hinter Frust und Hass versteckte. Irgendjemand musste schuld sein an der „Lage der Nation“ und für das eigene verpfuschte Leben büßen. Der Film zeigt die verschiedenen Ausprägungen des Rechtsradikalismus auf und wählt dafür Stellvertreterfiguren. Da ist der gewaltbereite Anführer der Clique, ein mieser Macho, der seinen Wut an Schwachen auslassen will, um sich selbst nicht schwach zu fühlen. Da ist Jennie, die aus Langeweile mit der Clique rumhängt und sich einen Spaß daraus macht, Stefan und seinen Freund Robbie gegeneinander auszuspielen. Eine eigene Meinung hat sie dagegen nicht, denn die will keiner wissen. Stefan selbst ist meist passiver Zuschauer, der aus gutem Hause kommt, es besser wissen müsste, aber nicht den Mut besitzt, die anderen von ihrem rassistischen Gedankengut abzubringen und nicht weiß, was er will. Hauptsache nicht wie sein Vater werden, ein SPD-Politiker, der eigentlich für Ruhe im Stadtviertel sorgen soll. Doch er versteckt sich zuhause und steckt den Kopf in den Sand. Devid Striesow spielt ihn mit dieser Mischung aus überforderter Panik und hilfloser Resignation und ist damit die personifizierte damalige Erwachsenengeneration. Überhaupt ist die Besetzung stimmig, die Typen gut getroffen, was auch für die vietnamesischen Schauspieler gilt. Denn auch diese Perspektive beleuchtet Qurbani. Wie ging es den Ausländern, die im Sonnenblumenhaus in Lichtenhagen untergebracht waren, als sie merkten, wie ihnen der blanke Hass entgegenschlug und sie um ihr Leben fürchten mussten? Die Kamera findet kraftvolle und atmosphärisch dichte Bilder, generell leistet der Film in visueller Hinsicht Großes. Am Ende geht Lien, eine junge Vietnamesin, nach draußen. Sie und ihre Familie haben den Angriff überlebt. Sie schaut einen kleinen Jungen an. Dieser greift nach einem Stein. Der Hass ist gesät. Und ihn auszumerzen, ist ein Kampf, der nie aufhören darf. Ein wichtiger und hochaktueller Film aus Deutschland, der zeigt, dass das eigentliche Verbrechen ist, zuzusehen, ohne einzugreifen. Und damit ein Film, der mahnt, erinnert, wachmacht.
Jurybegründung:
Im August 1992 kam es in Rostock-Lichtenhagen zu schweren Ausschreitungen gegen Asylanten, vor allem gegen die aus den umkämpften Balkangebieten geflüchteten Sinti und Roma, und gegen ein Haus, in dem Vietnamesen wohnten. Diese Ereignisse bilden den Hintergrund für den Film von Burhan Qurbani, der die Handlung auf einen einzigen Tag konzentriert und die wachsende Gewalttätigkeit, das Versagen der Politik, vor allem aber stellvertretend für die breite Masse das Verhalten einer kleinen Gruppe Jugendlicher genauer unter die Lupe nimmt, die sich in diesen Strudel der dumpfen Gewalt und des Hasses hineinziehen lässt. Im Mittelpunkt stehen Stefan, Sohn des Politikers Martin, sein Freund Robbie aus der sozialen Unterschicht, Goldhahn, der Sohn einer Friseurin, und Jennie, die sich mit Stefan einlässt und immer mehr zur Mitläuferin mutiert und nicht mehr die Kraft findet, sich der Welle von sinnlosem Hass entgegen zu stemmen. Diese Jugendlichen stehen zwischen zwei Ideologien - noch ist die DDR-Vergangenheit präsent, aber auf der anderen Seite hat sich das freiheitliche Denken noch nicht vollständig durchgesetzt, und der früheren linken Ideologie steht verstärkt ein harter Rechtskurs gegenüber, der Deutschland von den Ausländern befreien will. Das soziale Umfeld spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle, denn Stefan kommt im Gegensatz zu Robbie aus einem gut situierten Haus und lässt sich dennoch aus verschiedenen Gründen, darunter aus Ablehnung gegen seinen politisch zögerlichen Vater und aus dem Drang, in seiner Clique nicht als Feigling oder Außenseiter zu gelten, in den Strudel der Gewalt reißen. Dabei steht dieser Junge am Anfang eher zaudernd den Entwicklungen gegenüber, scheint auf den ersten Blick vernünftiger und ausgewogener als seine Freunde zu sein. Doch am Ende hat er sich entschieden und wird sogar zum Anführer des geballten Fremdenhasses, den er in einem Angriff auf das Wohnheim der Vietnamesen und durch die Zerstörung einer Wohnung demonstriert.
Der Film baut einen dramaturgisch fesselnden Spannungsbogen auf. Und obwohl die Handlung weitgehend den Fakten folgt, ist dabei kein Dokumentarfilm entstanden, der sich bis ins letzte Detail an die historischen Vorgaben anlehnt, sondern ein eigenständiger Plot zum Thema Rassismus, Macht von Ideologien, einer verunsicherten Generation im Umschwung, Politikern zwischen den Stühlen von Legislative und Judikative, Massenhysterie als Instrument für Fundamentalisten und über die Hilflosigkeit derer, die im Vertrauen auf Sicherheit und eine neue Chance in einem demokratisch regierten Staat, in den sie aus ihren eigenen Ländern geflohen sind, dann doch nur wieder Opfer von Gewalt und Angst werden.
Auch die Kamera ist in diesem Zusammenhang lobend zu erwähnen, vor allem beim fließenden Übergang von den anfänglich schwarz-weißen Bildern zum letzten, in Farbe gedrehten Viertel des Films, wenn die Gewalt sich in Feuer und Rauch manifestiert. Die Musik fügt sich ebenfalls hervorragend in die Dramaturgie - vom Pop der frühen neunziger Jahre zu kämpferischen Liedern mit ideologischen Ansagen bis hin zur Klassik, in die sich Stefans Vater Martin flüchtet, um sich zunächst seiner Verantwortung zu entziehen und Augen und Ohren vor den dramatischen Ereignissen zu schließen. Nicht zuletzt sind auch die guten Darsteller erwähnenswert, darunter Jonas Nay als Stefan, Joel Basmann als Robbie und Devid Striesow als Martin, der bei dieser Herausforderung versagt und das auch selbst erkennt.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)