Max ist ein ziemlich wilder Kerl. Immerhin hat er die Produktionsfirmen-Logos des Vorspanns vollgekritzelt, und pardauz!, da poltert er schon im Wolfskostüm die Treppe runter, eine wilder Jagd dem Hund hinterher, laut und krachend!
Dann baut er ein Iglu, unbeachtet von seiner Schwester Claire, die sich ihren Freunden zuwendet; mit denen veranstaltet er eine Schneeballschlacht, hat großen Spaß der dann ganz schnell in tiefste Traurigkeit, in Enttäuschung, Hilflosigkeit, Wut und Trotz umschlägt, als sein Iglu kaputtgeht.
Aus diesem Anfang, aus diesem ersten plötzlichen Umbruch der Gefühlswelt von Max, der Stimmungslage des Films weiß man schon vieles: Dass sich Spike Jonze ganz auf die Kindsperspektive einlässt; dass er dabei tatsächlich das Kind, das Kindsein versteht, tief in seinem Inneren; dass er den Gefühlssturm in Max zu inszenieren vermag; und dass er mit Max Records den perfekten Darsteller gefunden hat, der nicht nur seine Innenwelt subtil und doch deutlich im Außen zeigen kann, sondern der dieses Innere auch kennt, spürt, nachempfinden kann, so dass seine Darstellung nie aufgesetzt wirkt, nie gespielt.
Und für diese frühen Erkenntnisse des Zuschauers über den Film an sich und über Max im Speziellen braucht Jonze in seiner Anfangssequenz gar keine echten wilden Kere, keine riesigen Pelzmonster, die bedrohlich sind, freundlich, unverständig, emotional, aufbrausend, anschmiegsam, furchterregend, liebevoll und widerspenstig. Zu deren Insel reist Max nach einem Streit mit der Mutter, die viel zu arbeiten hat, die nach der Scheidung eine neue Beziehung aufbauen will, die halt einfach auch mal abends genervt sein kann (all das stellt Jonze nicht plakativ dar, nur beiläufig, aus Max Blickwinkel). Max nun hat seine Mutter gebissen, hat sie angeschrien: Ich fress dich auf! Und aus aufgewühlten Gefühlen segelt er dann ins aufgewühlte Meer.
Die wilden Kerle dort wählen ihn als König, holen Krone und Zepter aus einem Haufen Skelettknochen; sind das etwa die Überreste der früheren Könige, aufgefressen von den Monstern? Nun hat Max hier das Sagen, erstmal gibt es wildes Schreien und Hüpfen und Krachmachen, und dann gibts heftiges Kuscheln; und dann befiehlt er allerlei Wilde-Jungs-Spaß, den Bau einer Festung mit Swimmingpool, mit einem Laboratorium für die Entwicklung von Robotern und mit einem eigenen Detektivbüro. Und zudem muss er Traurigkeit und Einsamkeit vertreiben, das ist überhaupt seine Legitimation, dort König sein zu dürfen.
Er hat hier als kleiner wilder Kerl eine Art fürsorgliche Mutterrolle übernommen gegenüber den großen wilden Kerlen, hat zugleich eine Spielwiese gefunden und ein Schlachtfeld für den Krieg seiner Gefühle und Spike Jonze zeigt diese wilde Welt nicht als Traum wie Maurice Sendak in seinem Kinderbuchklassiker, wo nachts in Max Zimmer ein Wald wächst und plötzlich ein Meer da ist. Jonze überführt seinen Max aus der Daheim-Handlung geradewegs in die Weitweg-Handlung.
Die ist also logischer Bestandteil von Max Kinderwelt, aber zugleich natürlich als fantastisches Imaginationsgebilde Spiegelbild seiner Situation: der Familie, die auseinanderzudriften, den Zusammenhalt zu verlieren droht, und der widersprüchlichen Gefühle in Max, die sich gegenseitig im Weg stehen, die gerade erst im Werden begriffen sind. Ganz schön komplex für ein Kinderbuch, in dessen 334 Wörtern das alles auch schon drinsteckt; und Jonze hat es übernommen, ausgebaut, auch etwas erweitert: aber nicht rationalisiert, erklärt, psychologisiert. Weshalb das auch nicht einfach nur ein Kinderfilm ist, sondern ein Film über die Kindheit und deshalb für alle, die mal Kind waren.
Am Ende ist nichts wirklich in Ordnung; vielleicht versteht Max die Unordnung in ihm und um ihn herum wenigstens ein bisschen besser, vielleicht auch nicht. Der Zuschauer tut es, und er weiß, dass Beißen, Knuffen, Rumschmeißen, Wildsein, dass das Ich fress dich auf! nichts anderes sind als nicht ganz so zärtliche Liebesbezeugungen.
Fazit: Ein fantastisch-märchenhafter und ganz und gar wahrhaftiger Film über die Kindheit, über Gefühlschaos, über menschliche Beziehungen und über das Wilde im Leben, das jeder braucht.