Videokünstlerin und Regisseurin Shirin Neshat gelang mit dieser Romanverfilmung nicht nur die bildgewaltige Darstellung von vier Frauenschicksalen im Iran während der Machtübernahme des Schahs 1953. Sie spiegelt in poetischer Form auch die Kritik an aktuellen politischen Zuständen. Die totalitäre Herrschaft der Männer zwingt vier Frauen in unterschiedliche Rollen der Unterdrückung: die unmündige Schwester, die Prostituierte, das Vergewaltigungsopfer oder die unglückliche Ehefrau. Sie alle suchen nach Freiheit, Erlösung und Heilung, als sich ihre Schicksale in einer fern gelegenen Villa mit wundersamen Garten berühren. In subjektiven, beinahe surrealen Bildern und Metaphern voller Wucht und gleichzeitig melancholischer Eleganz beschwört die Regisseurin ambivalente Zustände und traumhafte Stimmungen von Hoffnung und Ausweglosigkeit, Schmerz, Aufbruch und sozialer Ungerechtigkeit herauf. Das ausdrucksstarke internationale Schauspielensemble und der emotionale Klang der Musik geben dem betörenden Film zudem seine unvergleichliche Faszination und Durchschlagskraft.
Jurybegründung:
Die Kamera gleitet über einen kleinen Wasserkanal, in die Erde gegraben im rohen Ackerland, folgt ihm bachabwärts, der Kanal wird zu einem Bachlauf, die Erde bleibt wüst und grau. Eine hohe Steinmauer begrenzt den Blick, doch die Fahrt mit dem Bach geht durch eine Steinbogenlücke, hinein in eine paradiesische, lichtdurchflutete Traumlandschaft mit ungeheurem Pflanzenreichtum, öffnet das Herz des Betrachters als wäre er im Himmel angekommen.
Dieser Wechsel des Sehens und der Gefühle ist Teil der Geschichte von vier Frauen aus unterschiedlichen Lebenszusammenhängen im Sommer 1953 im Iran. Es ist die Zeit der Proteste gegen den Militärputsch der Generäle und des Schahs, die mit Unterstützung von Großbritannien und den USA den demokratisch gewählten Präsidenten Moussadegh absetzen.
Die politisch interessierte Munis rebelliert gegen ihren konservativen religiösen Bruder mit Freitod. Archaisch wirkende strenge, kontrastreiche Bilder sprechen von der Kraft, die von ihr ausgeht. Befreit von Unterdrückung und ihrem Leben nimmt sie, ausgebettet von ihrer Freundin, nach ihrer Auferstehung Teil am Kampf der Protestbewegung in Teheran.
Die Kunst liebende Sängerin und Ehefrau eines Generals trennt sich von ihrem ihr gegenüber gleichgültigen Mann und kauft eine verborgene Villa vor den Toren von Teheran, zu der der paradiesische Garten gehört. Garten und Villa werden zum Rückzugsgebiet der unterschiedlichen Leiderfahrungen, von Unterdrückung und seelischen Verletzungen der Frauen.
Zarin fristet ihr Dasein als Prostituierte und als sie merkt, dass sie das Gesicht eines Freiers nicht mehr wahrnehmen kann, flüchtet sie nach einem optisch intensiven und verstörenden Reinigungsprozess in einem Hamam zur Villa. Für alle Frauen wird der Garten zum Ort der Erkenntnis und unausgelebter Sehnsucht, in dem die leidenden Frauen ihre Ruhe und kurzes Glück suchen.
Es sind verstörend schöne Bilder, Spiegel der Seelenlandschaft, wenn sich der Garten an seinen Rändern in landschaftlicher Kargheit auflöst oder der ruhende Körper auf dem satten Grün nicht aufliegt, sondern leicht darüber schwebt. Der Garten wird zum mystischen Zwischenreich von Leben und Tod, immer schwingt in den Bildern die Ahnung mit, dass das Leben zwar weitergeht, aber nie klar ist, ob es nicht schon vorher zu Ende war.
Innere Freiheit und Lebensfreude ohne Unterdrückung durch andere stehen für die Frauen einerseits und die äußere Freiheit im Kampf um den Erhalt von Demokratie im Iran, dargestellt durch Demonstrationszüge auf zwei spitz aufeinander zulaufende Straßen, andererseits. Zu Beginn vereinigen sich die Menschen protestierend an dessen Scheitelpunkt. Am Ende prallt dort Militär auf den Aufstand und bricht den Widerstand. Es sind solche starken Bildmetaphern, die dem Film seine Stärke geben. Sie werden unterstützt durch eine bewusste Farbgestaltung. In Teheran wirkt das Geschehen eigentümlich grau und kontrastreich, dafür erscheinen Villa und Garten im sanften farbenfrohen Licht.
Shirin Neshat ist mit ihrem Spielfilmdebut ein beeindruckend bildgewaltiges Epos gelungen mit herausragender Kamera und emotional bewegenden Darstellerinnen. Ein kunstvoll arrangiertes Filmwerk über die Unterdrückung von Frauen und zugleich als Protest gegen die Verhältnisse im Iran damals und auch heute. Die Regisseurin widmet ihren Film im Nachspann all jenen, ‚die ihr Leben im Kampf für Freiheit und Demokratie im Iran verloren haben - von der Konstituionellen Revolution 1906 bis zur Grünen Bewegung von 2009‘.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)