Die Filmemacherin Desirée von Trotha ist Deutsche. Doch die Hälfte des Jahres verbringt sie in ihrer zweiten Heimat, der Sahara-Wüste. Gemeinsam mit dem Nomaden-Volk der Kel Tamaschek, wie sich die Tuareg selbst nennen, lebt sie und genießt die Freiheiten fern einer eingeschränkten westlichen Welt. Einmal im Jahr feiern die Kel Tamaschek in Timbuktu das „Festival au Désert“, ein Musikfestival in der Wüste. Das friedliche Miteinander steht hier im Zentrum, die gemeinsame Ko-Existenz von Völkern und Religionen. Doch immer mehr sehen sich die Kel Tamaschek in ihrem Dasein gefährdet und missverstanden. Sie werden vertrieben und ihnen werden Werte zugeordnet, für die sie selbst nicht stehen. Bis die Welt ein falsches Bild erhält. Von Trotha gelingt mit ihrem Film nicht nur ein faszinierender Einblick in eine fremdartige und komplexe Kultur. Die Filmemacherin schafft es auch buchstäblich, den Horizont des Zuschauers zu erweitern, lässt die Kel Tamaschek sich selbst präsentieren, als ein weltoffenes, tolerantes und doch traditionsbewusstes Volk, welches stolz ist auf die eigenen Wurzeln und diese nicht verlieren möchte. Oftmals spricht der Film jedoch auch lediglich durch die Kraft der treibenden und sinnlichen Musik, die das Herz dieses mitreißenden Films ist. Denn bei all der Diskussion rund um Politik, Religion und Grenzkonflikte: Am Ende steht die Hoffnung, der Glaube, das Plädoyer für eine bessere und offenere Welt. Und die Kraft der Musik.
Jurybegründung:
Macht und Ohnmacht der Musik. Das Wüstenvolk der Tuareg in der Sahara kämpft einen schier aussichtslosen Kampf um sein Überleben. Bei ihren Wanderungen durchmessen sie die auf mehrere Staaten aufgeteilten, überlebenswichtigen alten Wanderrouten in der Wüste. Ihre Jahrhunderte währende, traditionelle Nomadenkultur ist hoch gefährdet durch politische und religiöse Machtkämpfe. Ein Teil des Widerstands gegen ihre Zerschlagung und Verfolgung ist die Musik. Im letzten Jahr organisierten sie das vorerst letzte Mal, wie schon die letzten elf Jahre zuvor, vor den Toren von Timbuktu ein Rockfestival des Widerstands mit friedlichen Mitteln. Ihre Waffe ist die Gitarre in einem für uns außergewöhnlichen Ambiente. Statt Schlamm wie in Woodstock ist es der Sand der Wüste, der in dem Dokumentarfilm von Desirée von Trotha die Optik bestimmt. Ein Parkplatz für Kamele, hochbeladene Lastwagen mit Matratzen zum Auslegen, Bulldozer, die Platz schaffen für Bühnenaufbauten und Besucher. Während der dreitägigen Dauer des Festivals gewährt uns die Autorin und Regisseurin einen intensiven Blick in den bewegenden Versuch, durch Musik die Einheit der Tuaregs mit ihren Zielen, Träumen und politischen Forderungen zu bewahren und zu stärken.
Aus dem Off berichtet sie ihre Eindrücke und befragt Musiker dieses Friedensfestivals zu den Intentionen, Zielen und Botschaften ihrer Musik, aber auch Wissenschaftler zur Geschichte, dem Brauchtum und den liberalen Einstellungen eines gemäßigten Islams, den die Tuaregs leben. Viele Stücke werden ausgespielt, der Text mit Untertiteln übersetzt. Wir erhalten einen tiefen Einblick in die schwierigen und gefährdeten Verhältnisse der Tuaregs, die sich selbst Kel Tamaschek nennen. Viele Sequenzen zeigen uns die Schönheit der Wüste bei Sonnenuntergängen, das Kamelrennen während des Festivals, aber auch Abschnitte der Verfolgung und kriegerischen Auseinandersetzungen. Allgegenwärtig erscheinen der Kampf um das lebenswichtige Wasser, Diskriminierung, der zerstörerische Einfluss bei der Ausbeutung der Rohstoffe in der Sahara, die Gefahren durch die al-Qaida und Salafisten, denen die liberalen Einstellungen der Tuaregs Grund genug sind, sie zu verfolgen.
Am Ende des Films wird der Wunsch nach Frieden im Islam für die Kultur der Tuaregs durch die Wirklichkeit auf den Kopf gestellt. Nicht lange nach dem Festival beginnt ein Krieg, der das Volk zur Flucht in Auffanglager anderer Staaten treibt. Ein Friedensfestival dieser Art wird es so schnell nicht wieder geben.
Dieser Dokumentation, die strukturell eher einem klassischen Fernsehformat folgt, ist ein hervorragender tiefer Einblick in eine uns fremde Kultur gelungen. Ohne Aufdringlichkeit zeigt uns von Trotha als Expertin der Nomadenkultur am Beispiel des „Festivals au Desert“ das kulturelle Verständnis der legendären Tuaregs auf. Aber auch ihren Kampf um Unabhängigkeit und Selbstbestimmung.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)