Mit "X-Men: Zukunft ist Vergangenheit" nahm Bryan Singer, Regisseur der ersten beiden Filme der erfolgreichen Superhelden-Reihe, erneut auf dem Regiestuhl Platz. Inhaltlich knüpft er sowohl an die zunächst als Trilogie angekündigten Werke als auch an Matthew Vaughns Prequel "X-Men: Erste Entscheidungen" an, weshalb man als Zuschauer besser die Vorgeschichte kennen sollte, um die Relation der Charaktere zueinander und alle Anspielungen verstehen zu können. So erfolgt etwa ein ironischer Seitenhieb auf Hugh Jackmans Cameo-Auftritt in "X-Men: Erste Entscheidungen", wobei der unsterbliche Wolverine die einzige Figur ist, die in allen Folgen samt der auf ihn zugeschnittenen Ableger auftritt, was vor allem Jackmans Popularität zuzuschreiben ist.
Mittels des Zeitreise-Motivs fand Autor Simon Kinberg ("Sherlock Holmes") einen Weg, die Darsteller aus der Trilogie und des Prequels zu vereinen. Man mag es bedauern, dass Regisseur Matthew Vaughn und seine Co-Autorin Jane Goldmann ("Kick Ass") den im Vorgänger eingeschlagenen Weg eines historischen Zeitkommentars nicht weiter fortschreiten konnten. Ursprünglich sollte das aktuelle "X-Men"-Werk etwa Bezug auf die Kuba-Krise, den Vietnam-Konflikt oder Kennedys Ermordung nehmen. Teilweise flossen diese Handlungselemente dann doch in das Drehbuch ein, wenn etwa Magneto für John F. Kennedys Tod verantwortlich gemacht wird, was er selbst bestreitet. Besonders im ersten Drittel nehmen die Zeitbezüge einen breiten Raum ein, weshalb in "Forrest Gump"-Manier die US-Geschichtsschreibung im Bezug auf das Mutanten(un)wesen eine neue Bedeutung erfährt.
Stark an die "Terminator"-Prämisse erinnert der Prolog, wo die Menschheit und die Mutanten von sich regenerierenden biomechanischen Waffen, den Sentinels (Wächtern), unterjocht werden. Daher gilt es, ein verhängnisvolles Attentat auf den ideologisch verblendeten Mutantenhasser und Industriellen Dr. Trask zu verhindern, um die Zukunft wieder in geregelte Bahnen zu lenken. Zunächst wirkt dies wenig originell, doch Bryan Singer gelingt es, zu seiner vertrauten Mischung aus Action, Humor, Sozialkritik sowie politischen und popkulturellen Anspielungen (etwa auf "Star Trek") zurück zu finden. Natürlich darf ein spektakuläres, zunächst hoffnungsloses Finale, in dem per Parallelmontage die beiden Zeit- und Handlungsstränge per Parallelmontage verknüpft werden, nicht fehlen. Doch erneut erweist sich die "X-Men"-Reihe nicht auf reine Action-Einlagen ausgerichtet, da die vertrackte Figurenkonstellation ebenso im Fokus steht wie die gewohnt aufwendigen Effekte (wie gewohnt aus der "Hydraulx"-Schmiede der Strause-Brothers).
Während viele prominente Darstellern aus den frühen Filmen wie Kelsey Grammer (Beast), James Marsden (Cyclop) oder Anna Paquin (Storm), deren meiste Szenen der Schere zum Opfer fielen, nur kurz auftauchen, konzentriert sich die Story auf die derzeit angesagten Stars James McAvoy (Professor Xavier), Michel Fassbender (Magneto), Jennifer Lawrence (Raven/Mystique) und Nicolas Hoult ("Jack und die Giganten") als junges Biest. Ihre wechselnden Allianzen unterstreichen den Zwiespalt, die Zerrissenheit und Hassliebe, mit der die Mutanten untereinander verbunden sind. Nicht allein Magneto erweist sich als unkontrollierbar, egoistisch und verschlagen, was seinen früheren Freund Professor Xavier regelmäßig in die Enge treibt. In der Freund-/Feind-Figurenkonstellation erinnert dies an Thor und seinen teuflischen Halbbruder Loki aus dem "Marvel"-Universum.
Es mag bedenklich erscheinen, dass der Mutantenhasser Dr. Trask ausgerechnet von einem Kleinwüchsigen verkörpert wird, der selbst zu den Außenseitern der Gesellschaft zählt. Doch Bryan Singer wollte für diese Rolle unbedingt Peter Dinklage gewinnen, auch wenn der Part nicht die Ambivalenz von Tyrion Lannister aus "Game of Thrones" besitzt. Dinklage versteht es ebenso wie Newcomer Evan Peters ("Kick Ass") als Magnetos Sohn Quicksilver zu glänzen, der als aufmüpfiger Jungspund im ersten Drittel für den Humor zuständig ist. Zu den komischen Höhepunkten gehört eine "entwaffnende" Slapsticksequenz, in der Quicksilvers Fähigkeiten per Zeitlupe demonstriert werden. Unter den Mutanten zählt Omar Sy ("Ziemlich beste Freunde") als Bishop zu den weiteren Newcomern. Statt Schöpfer Stan Lee absolvieren die Autoren der Comicvorlage Chris Claremont und Len Wein einen Cameo-Auftritt als Senatoren. Das hat auf Dauer allerdings zur Folge, dass manche Stars zu Stichwortgebern verkommen und nur wenige der Charaktere echte Tiefe erreichen können.
Das Hauptmanko liegt allerdings im Video-Look besonders bei zahlreichen Actioneinlagen, was auf den 3D-Dreh zurückzuführen ist einen ähnlich künstlichen Anstrich besitzen ebenfalls die "Hobbit"-Filme. Einige wenige surreale Sequenzen wie der CGI-Vorspann mit einer Kamerafahrt durch eine DNA weisen ein Stereoskopie-Konzept auf, doch ansonsten spielen die 3D-Effekte eine untergeordnete Rolle. Insgesamt gelingt es dem in die Kritik geratenen Singer mit "X-Men: Zukunft ist Vergangenheit" aber, an das hohe Niveau seines herausragenden zweiten Teils und Matthew Vaughns Vorgänger anzuknüpfen. Die Atmosphäre des düsteren Prologs scheint den nächsten Teil "X-Men: Apocalypse" schon vorweg zu nehmen, der in einer Szene nach dem Nachspann mit einem neuen Gegenspieler vorbereitet wird.
Fazit: Der ambitionierte "X-Men: Zukunft ist Vergangenheit" liefert eine ausgewogene Kombination aus spektakulärer Action, Ironie, Sozialkritik und Popkultur-Zitaten mit ökonomisch eingesetzten 3D-Einlagen.