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Shekarchi: Im Teheran der Gegenwart verliert ein Mann durch die politischen Demonstrationen Frau und Kind, wird zum Rächer, Jäger und Gejagten.

Handlung und Hintergrund

Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis versucht Ali mühsam, in Teheran wieder Fuß zu fassen. Er nimmt eine Anstellung als Nachtwächter an, um seine Familie ernähren zu können. Als seine Frau und seine Tochter bei einem Schusswechsel zwischen Polizei und Demonstranten während öffentlicher Unruhen versehentlich getötet werden, hat Ali nichts mehr zu verlieren. Er tötet zwei Polizisten und flüchtet in die Wälder. Bald wird er gestellt und verhaftet. Doch damit ist die Jagd noch nicht zu Ende.

Besetzung und Crew

Regisseur
  • Rafi Pitts
Produzent
  • Thanassis Karathanos,
  • Mohammad Reza Takhtkeshian
Darsteller
  • Rafi Pitts,
  • Mitra Hajjar,
  • Ali Nicksaulat,
  • Hassan Ghalenoi,
  • Manoochehr Rahimi,
  • Ismail Amini Young,
  • Naser Madahi,
  • Ali Mazinani,
  • Ossta Shah-Tir,
  • Malak Khazai,
  • Saba Yaghoobi
Drehbuch
  • Rafi Pitts
Kamera
  • Mohammad Davudi
Schnitt
  • Hassan Hassandoost

Kritikerrezensionen

    1. Im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale zählte Rafi Pitts vierter Spielfilm „The Hunter“ zu den Kritikerfavoriten, aber ähnlich wie der deutsche Beitrag „Der Räuber“ erwies sich die ruhige, symbolhafte Erzählhaltung als zu distanziert-enigmatisch, um bei der Preisvergabe eine Rolle spielen zu können. Ohne die deutsche Cofinanzierung wäre die Produktion des düsteren Dramas vermutlich kaum zustande und der Film nicht so rasch nach Festivalende in unsere Kinos gekommen. Ob dies ebenfalls im Herstellungsland Iran geschehen wird, bleibt angesichts von Pitts sezierender Haltung zur dortigen Politik eher zweifelhaft. Nach eigenen Angaben war es allerdings Zufall (oder Voraussicht), dass in die Handlung eingeflochtene Zeitbeobachtungen wie Straßenkonflikte ebenfalls in der Realität eintraten.

      Schon ein Foto mit der aggressiven Revolutionsgarde auf Motorrädern während der Eingangscredits verweist auf die angespannte Situation im Land. Allerdings fließen die politischen Hintergründe eher beiläufig ein, wenn sie als Radiomeldungen/-ansprachen in die Handlung integriert werden und sie bitter-ironisch kommentieren. Dagegen erfährt man kaum etwas über die Vorgeschichte des vorbestraften Protagonisten, der sich mit einem Fabrik-Nachtwächterjob zufrieden geben muss und zu den Kollegen wenig Kontakt pflegt. Immerhin dient dem schweigsamen Einzelgänger die Familie als Halt und Stütze in einer unwirtlichen Welt aus Stahl und Beton. Als man sie ihm nimmt, fehlt Ali jeder Orientierungspunkt. Sein Zorn richtet sich gegen eine entmenschlichte Bürokratie und einen Polizeistaat, in dem der Einzelne dauerhaften Verdächtigungen, Bespitzelungen und Willkür ausgesetzt wird. Als einziger Weg erscheint der Griff zur Waffe, doch nach seiner mörderischen Tat reagiert Ali, als habe er längst mit dem Leben abgeschlossen.

      Schon in den ersten Minuten baut Pitts diese Entwicklung auf, wenn er den mürrisch blickenden Protagonisten mit Jagdgewehr in von Menschen entleerten Wäldern zeigt. Der Vorgängerfilm des Exilanten Pitts hieß „Zemestan – It’s Winter“, und hier wurden auch die ruhigen Jagdszenen angesiedelt. Bewusst wählte er die kalte Jahreszeit, um bunte Farben zu vermeiden. Die tote Landschaft wird zu Symbol für die Befindlichkeit einer ganzen Nation. Das schildert Pitts in langen starren Einstellungen, mit Zeitsprüngen, wenigen Dialogen, einer Laienbesetzung und seltener Hintergrundmusik, wobei die in drei Abschnitte zerfallende Geschichte allmählich eine untergründige Spannung entwickelt. Wenn das Finale jedoch absurden Humor einsetzt, verliert das Rachedrama etwas an Stringenz. Zudem wirkt Rafi Pitts, der am ersten Drehtag aufgrund eines unzuverlässigen Akteurs kurzerhand selbst den Titelpart übernahm, als Hauptdarsteller reichlich ausdruckslos, wobei seine stoische Mine dem distanzierten Stil durchaus zuträglich erscheint.

      Fazit: Nüchternes Porträt eines sinnlosen Widerstands, der die Erwartungen an ein Rachedrama unterläuft und sich stärker auf die Schilderung der desolaten iranischen Gesellschaftssituation konzentriert.
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    2. Zeit des Zorns: Im Teheran der Gegenwart verliert ein Mann durch die politischen Demonstrationen Frau und Kind, wird zum Rächer, Jäger und Gejagten.

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      1. Über Jäger und Gejagte: Das iranisches Drama handelt von einem Einzelgänger, der während einer Schießerei zwischen Rebellen und Polizei Frau und Tochter und damit jegliche Bodenhaftung verliert. Er begibt sich auf einen einsamen Kampf gegen die Polizeigewalten. Wenig wird in diesem lakonischen Film konkret ausgesprochen oder bildhaft deutlich gemacht, umso intensiver wirken die bedrückende Grundstimmung und der inhärente Zorn einer Gesellschaft ohne wirklichen Katalysator. Eine düstere Farbgebung, puristische Inszenierung, sparsame Dialoge und genau eingesetzte Körpersprache und Mimik bilden ein Netzwerk aus Anhaltspunkten zum gesellschaftlichen Labyrinth, aus dem es für den verirrten Protagonisten kein Entrinnen gibt. Eine existentielle Geschichte zur komplexen politischen Lage im Iran, die an vielen Stellen für Interpretationen offen bleibt, und dadurch indirekt viele kritische Beobachtungen anstellt.

        Jurybegründung:

        Ein Foto eröffnet den Film des iranischen Regisseurs Rafi Pitts: Eine Gruppe von Männern auf Motorrädern. Es sind Pasdaran, Mitglieder der islamischen Revolutionsgarde. Das Foto entstand 1980 und die Männer feiern den ersten Geburtstag der Revolution.

        ‚Es ist ein sehr aggressives Bild‘, sagt Regisseur Rafi Pitts. ‚Ich habe dieses Foto seit meinem 14. Geburtstag. Meine Generation ist mit diesem Bild aufgewachsen.‘ Zu dieser Generation gehört auch Ali, der Protagonist des Films.
        Ali wird zu einer Zeitbombe, ist Subjekt und Objekt zugleich von einer ‚Anatomie der Rache‘. Ali rächt den Tod von Frau und Tochter (sie kommen bei einer Demonstration gegen das heutige Regime ums Leben) durch das Erschießen von Polizisten. Der Jäger wird aber schließlich selbst zum Gejagten, wird von zwei Polizisten gefasst und Opfer deren Frust und Auseinandersetzung.

        Der Film ist inspiriert von einer Kurzgeschichte des 1997 im Berliner Exil verstorbenen iranischen Schriftsteller und politischen Intellektuellen Bozorg Alavi. Rafi Pitts stellt sie in den Kontext der aktuellen Ereignisse in seinem Heimatland, auch wenn diese nur in Andeutungen aufflackern, in kurzen Verweisen. Aber sie bilden den stets präsenten Subtext des Films, den Pitts einen ’neorealistischen Western‘ nennt. Ein Western, strukturiert wie ein Labyrinth.

        ‚Mein zentraler Charakter ist in einem Labyrinth gefangen. Sein Labyrinth ist voller Kurven und Wendungen. Es gibt kein Entrinnen für ihn.‘ Auch der Stadtmoloch Teheran wird zu Alis Labyrinth. Es ist der Ort seiner Odyssee durch Behördenzimmer, Polizeistationen, Kliniken und Kinderheime. Schließlich endet dieses Labyrinth im Leichenschauhaus.
        ZEIT DES ZORNS ist ein Film voller Zeichen und Vorzeichen, die die Menschen förmlich umstellen, sie als Gefangene fixieren oder als Getriebene. Eine ambitionierte Parabel, die aber nie den Blick des Zuschauers manipuliert und einengt. Noch einmal ein Zitat des Regisseurs: ‚Es ist ein wichtiges Element in meinem Film, dass die Dinge für Interpretationen offen bleiben.‘ Und das schafft er auf beeindruckende Weise.
        ZEIT DES ZORNS ist zweifellos ein Glücksfall des zeitgenössischen politischen Kinos, mit seiner starken Geschichte und dem beziehungsreichen Gleichnis.

        Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)
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