Über Jäger und Gejagte: Das iranisches Drama handelt von einem Einzelgänger, der während einer Schießerei zwischen Rebellen und Polizei Frau und Tochter und damit jegliche Bodenhaftung verliert. Er begibt sich auf einen einsamen Kampf gegen die Polizeigewalten. Wenig wird in diesem lakonischen Film konkret ausgesprochen oder bildhaft deutlich gemacht, umso intensiver wirken die bedrückende Grundstimmung und der inhärente Zorn einer Gesellschaft ohne wirklichen Katalysator. Eine düstere Farbgebung, puristische Inszenierung, sparsame Dialoge und genau eingesetzte Körpersprache und Mimik bilden ein Netzwerk aus Anhaltspunkten zum gesellschaftlichen Labyrinth, aus dem es für den verirrten Protagonisten kein Entrinnen gibt. Eine existentielle Geschichte zur komplexen politischen Lage im Iran, die an vielen Stellen für Interpretationen offen bleibt, und dadurch indirekt viele kritische Beobachtungen anstellt.
Jurybegründung:
Ein Foto eröffnet den Film des iranischen Regisseurs Rafi Pitts: Eine Gruppe von Männern auf Motorrädern. Es sind Pasdaran, Mitglieder der islamischen Revolutionsgarde. Das Foto entstand 1980 und die Männer feiern den ersten Geburtstag der Revolution.
‚Es ist ein sehr aggressives Bild‘, sagt Regisseur Rafi Pitts. ‚Ich habe dieses Foto seit meinem 14. Geburtstag. Meine Generation ist mit diesem Bild aufgewachsen.‘ Zu dieser Generation gehört auch Ali, der Protagonist des Films.
Ali wird zu einer Zeitbombe, ist Subjekt und Objekt zugleich von einer ‚Anatomie der Rache‘. Ali rächt den Tod von Frau und Tochter (sie kommen bei einer Demonstration gegen das heutige Regime ums Leben) durch das Erschießen von Polizisten. Der Jäger wird aber schließlich selbst zum Gejagten, wird von zwei Polizisten gefasst und Opfer deren Frust und Auseinandersetzung.
Der Film ist inspiriert von einer Kurzgeschichte des 1997 im Berliner Exil verstorbenen iranischen Schriftsteller und politischen Intellektuellen Bozorg Alavi. Rafi Pitts stellt sie in den Kontext der aktuellen Ereignisse in seinem Heimatland, auch wenn diese nur in Andeutungen aufflackern, in kurzen Verweisen. Aber sie bilden den stets präsenten Subtext des Films, den Pitts einen ’neorealistischen Western‘ nennt. Ein Western, strukturiert wie ein Labyrinth.
‚Mein zentraler Charakter ist in einem Labyrinth gefangen. Sein Labyrinth ist voller Kurven und Wendungen. Es gibt kein Entrinnen für ihn.‘ Auch der Stadtmoloch Teheran wird zu Alis Labyrinth. Es ist der Ort seiner Odyssee durch Behördenzimmer, Polizeistationen, Kliniken und Kinderheime. Schließlich endet dieses Labyrinth im Leichenschauhaus.
ZEIT DES ZORNS ist ein Film voller Zeichen und Vorzeichen, die die Menschen förmlich umstellen, sie als Gefangene fixieren oder als Getriebene. Eine ambitionierte Parabel, die aber nie den Blick des Zuschauers manipuliert und einengt. Noch einmal ein Zitat des Regisseurs: ‚Es ist ein wichtiges Element in meinem Film, dass die Dinge für Interpretationen offen bleiben.‘ Und das schafft er auf beeindruckende Weise.
ZEIT DES ZORNS ist zweifellos ein Glücksfall des zeitgenössischen politischen Kinos, mit seiner starken Geschichte und dem beziehungsreichen Gleichnis.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)