Ja, er kann es, der neue! Nach Sean Connery, George Lazenby, Roger Moore, Timothy Dalton und Pierce Brosnan tritt nun der sechste Darsteller als James Bond an, um das Erbe der erfolgreichsten Filmserie aller Zeiten fortzuführen.
Ob Craig mit seiner groben Visage der Richtige war, wurde heiß diskutiert und oft angezweifelt. Nun hat ihn das Gros der Kritik akzeptiert, doch ob er tatsächlich (wie es schon hieß) der beste Bond seit Sean Connery ist, sei dahingestellt. Nicht, weil Craig seinen Job nicht gut macht. Sondern weil Casino Royale die 007-Reihe so radikal neu startet, dass alle Vergleiche hohl werden.
Umbrüche, Ausreißer, Neu- und Rückbesinnungen hat es innerhalb der Serie so manches Mal gegeben. Und es ist ein müßiges Diskutieren, wie denn bitteschön die Vorgeschichte Bonds jetzt ausgebreitet werden kann und gleichzeitig die neue Chefin M alias Judi Dench, die ihren Einstand in Pierce Brosnans 007-Debut Goldeneye (ebenfalls unter der Regie Casino Royale-Director Martin Campbell) gab, hier den Neuling an die Kandare nimmt. Tatsächlich aber muss und kann! man die vierzig Jahre Filmgeschichte vergessen, die den Casanova und Killer Bond ins kulturelle Gedächtnis schrieben. Nach Batman heißt es jetzt: Bond begins. Und das tut er so grundlegend, ernst und tiefgründig, wie man es kaum für möglich gehalten hat.
Das fängt bereits auf der formalen Ebene an, die zum Spielfeld erweitert wird und Kommentierung findet: Casino Royale beginnt nicht mit dem berühmten Pistolenlauf-Intro sondern in grieseligem Schwarz-Weiß. Erst der Tod zweier Verräter verleiht Bond seine 007, dem Film die Farbe und der Reihe ihren legendären Gunbarrel-Auftakt.
So verwendet der Film, dessen Buch nicht umsonst von Paul Haggis (Million Dollar Baby, L.A. Crash) überarbeitet wurde, eine Menge Arbeit und Intelligenz darauf, die Entwicklung bzw. Entstehung des Geheimagenten Ihrer Majestät zu zeichnen Casino Royale ist tatsächlich die Vorgeschichte und damit eine erstaunlich feine Charakterstudie, mit dem Motto: So wurde Bond zu dem so nonchalanten wie eiskalten Profi im Smoking, wie wir ihn kennen.
Klar, die Action kommt dabei nicht zu kurz. Gerade in der ersten Hälfte katapultiert der Film mit zwei atemberaubend inszenierten Sequenzen Bond zurück an die Spitze des Actionkinos, das gerade ohne die peinlichen Computer-Effekte des letzten 007-Films Die Another Day brilliert. Die Verfolgungsjagd, in der Bond und der Bombenbauer wie Affen über eine afrikanische Baustelle toben und an einem Kran herumturnen, vor allem aber der Kampf auf dem Miami-Flughafen, wo Bond in, um und auf einem Tanklastwagen verhindern muss, dass dieser in den neuen Flugzeugprototyp rast all dies gemahnt an die Krawallklassiker der 1990er, allen voran die Die Hard-Film, und Craig als Bond an deren Helden John MacClane alias Bruce Willis.
Wie dieser muss Bond allerhand einstecken, kommt mit ordentlichen Schrammen davon. Gegen Ende malträtiert ihm Le Chiffre sogar mit einem Tau die Genitalien, um an ein Passwort zu kommen. Bond schreit, schwitzt, reißt verzweifelte Witzchen. Spätestens hier sind wir ganz beim Menschen 007, wie ihn Erfinder Ian Fleming schuf. Zum ersten Mal vielleicht. Und so ist es denn auch kein Wunder, dass Craig in seiner Rolle mehr glänzen kann als die meisten seiner Vorgänger. Schlichtweg weil man ihm und seinem neuen Bond die Gelegenheit dazu gibt.
Bond, das ist hier noch nicht der kontrollierte und elitäre Charmeur sondern einer mit Stiernacken und Kurzhaarschnitt. Einer, dem man den rechten Smoking noch heraussuchen muss und der sich sein Wodka-Martini-Rezept ausdenkt, um sich hernach einen Dreck darfür zu interessieren, ob geschüttelt oder gerührt. Überhaupt, die vielen augenzwinkernden Anspielungen auf die ikonischen Standards der (wie man sagen muss: alten) Serie, vor allem die der Bondschen Lebensart: mit ihnen wird das traditionelle 007-Bild lustvoll auseinander genommen und es hernach neu zusammenzusetzen.
In diesem Sinne ist auch Bonds allzu wuchtige Bodybuilding-Statur zu sehen: 007 ist noch Soldat, ein rauer Bursche mit allzu großem Ego und fast unsympathischer Hoppla, hier komm ich!-Rücksichtslosigkeit, ein Haudrauf, der lieber mit dem Kopf durch die Wand will, dem aber auch eine gehörige Portion Offenheit, gar Naivität aus den blauen Augen blitzt.
Eva Green (Königreich der Himmel) als Vesper Lynd fällt dementsprechend die wichtigste Rolle zu, die eine Frau je in den Bond-Filmen hatte und haben wird: diejenige zu sein, die dem harten Hund das Herz weich werden lässt und letztlich bricht (man kann auch sagen: austreibt). Green meistert diese Aufgabe mit Bravour, und wie ausgefeilt das Buch ist, zeigt sich daran, dass man diesmal ein Bond-Girl ungeschminkt erlebt, beim Herrichten vor dem Spiegel, wo sie noch viel schöner ist und so den Luxusvamp zu der Wunschvorstellung degradiert, den vor allem die Bond-Filme immer konstruiert haben.
Casino Royale wagt viel, wird vielleicht auch manche alten Fans verschrecken. Die leichte, comic-ironische Traumwelt voller exotischer Gefahren und überbordendem Luxus ist passé. Casino Royale ist dreckig, ernst, intensiv. Doch dafür sind zum ersten Mal die Figuren (zumindest die hauptsächlichen) echte Charaktere. Man mag fast an Graham Greene oder John LeCarré erinnern, bei allem Interesse und Raum, der ihrem Innenleben gegönnt wird. Sogar Le Chiffre ist keiner der üblichen Bösewichte, die mal eben so die Weltherrschaft anstreben, sondern selber ein Gehetzter (Mads Mikkelsen holt denn auch erstaunlich viel aus der fischig-kalten Rolle heraus).
Wie sehr der Film sich für sein Personal interessiert, zeigt sich allein schon der Mut, die große Super-Action schon am Anfang zu verpulvern. Der versinkende venezianische Palast zum Schluss ist dagegen fast schon matt und kommt wegen der Tragik, die sich darin abspielt doch nicht gegen allen wunderschönen Budenzauber an. (Auch wenn der in eine klug gewundene Story eingebettet wurde.)
Keine lustigen Unterwasserfestungen, Haifischbecken oder Mädchen im Minirock. Bond ist erwachsen geworden und hat sich eher an realistischen Reißern wie der Bourne Identität orientiert, aller Computer- und vor allem Handy-Spielereien des Plots zum Trotz. Und dass Campbell mit seinem Kameramann Phil Méheux, nach den fidel-turbulenten Zorro-Filmen mit Antonio Banderas und dem elegant-effizienten Goldeneye auch anders können, nämlich hart und brutal, dazu auch mal mit Handkamera Bond zu Leibe rücken, wenn es angebracht ist, beweisen sie eindrucksvoll. Damit lassen sie Casino Royale auch dort, wo er in Sachen Gewalttätigkeit über die Stränge schlägt, genießbar bleiben.
So bleibt einzig die Sorge, ob und wie die Weiterentwicklung Bonds in den kommenden Filmen weitergezeichnet wird. Den ersten, überaus spannenden Schritt stellt Casino Royale dar. Mit zwei weiteren Filmen soll er eine Art Trilogie bilden, in der es um eine bis jetzt namenlose Organisation geht, die schon hier, im Hintergrund Fäden zieht. Doch stehen bleiben darf Bond als reine Kampfmaschine nicht, davon haben und hatten wir schon zu viele. Aber immerhin, edle Anzüge zu tragen hat 007 nun schon mal gelernt, ebenso wie sein legendäres: Bond. James Bond.
Fazit: Casino Royale stellt mit dem neuen Darsteller Daniel Craig als frischgebackener Geheimagent 007 einen so atemberaubenden wie radikalen Neustart der James-Bond-Serie dar: Ein überraschend intensiver, harter und ernster Reißer, der neben allen packenden Schauwerten viel Energie und Intelligenz auf die Zeichnung und -entwicklung der legendären Bond-Figur verwendet.