Bekanntlich soll man ja aufhören, wenn es am schönsten ist. Diesen Punkt hat Netflix bei einer einst vielversprechenden Serie leider komplett überschritten.
Spätestens seit „Haus des Geldes“ sind Produktionen aus Spanien für Netflix ein Erfolgsgarant. Serien wie „Die Telefonistinnen“, „Sky Rojo“ und „Toy Boy“ haben es über die Jahre regelmäßig mit neuen Staffeln in die deutschen Top 10 des Streamingdienstes geschafft. Das trifft auch auf einen Titel zu, der mittlerweile acht Staffeln zählt. Eine neunte wird es aber nicht mehr heben. Und ich sage: Danke!
– Dieser Artikel spiegelt die Meinung der Autorin wider und nicht zwangsweise die aller kino.de-Redakteur*innen. –
Wer stets die Neustarts auf Netflix verfolgt, wird sicher schon ahnen, welcher spanischen Serie sich dieser Artikel widmen wird: Richtig, die Rede ist von „Élite“. Von 2018 bis 2024 hat es die Produktion beim Streamingdienst auf 64 Episoden gebracht, die meiner Meinung nach sehr stark angefangen haben – aber auch mindestens genauso stark nachließen. Nach den neuen Folgen ist deshalb endgültig Schluss.
Hätte Netflix den Titel bereits vor vier Jahren – also nach Staffel 3 – abgeschlossen, wäre „Élite“ vielen Zuschauenden vermutlich positiv im Gedächtnis geblieben. Meine Hoffnungen lagen nun darauf, dass zumindest das Serienfinale alles wieder geraderücken wird. Bis auf die letzten Minuten der achten Folge gibt sich die Serie hier aber alle Mühe, mit der schlechtesten Staffel aller Zeiten abzuschließen. Zwar rückt nach etlichen Fehlversuchen endlich wieder das Thriller-Genre in den Fokus; wird allerdings von Sexpartys, Drogenexzessen und neuen Charakteren verdrängt, die willkürlich in die Handlung geworfen wirken:
Publikum kehrt „Élite“ den Rücken – aus gutem Grund
Mit meiner Meinung zur abnehmenden Qualität der Serie bin ich nicht allein, zumindest wenn man den Bewertungen auf Rotten Tomatoes Glauben schenkt. Kamen Staffel 1 bis 3 beim Publikum noch jeweils auf über 80 % positive Rückmeldungen (wobei Staffel 2 mit 88 % die stärkste war), ließ das Votum mit Staffel 4 deutlich nach: Nur noch 53 % der Zuschauer*innen zeigten sich weiterhin begeistert von „Élite“. Bei Staffel 5 gab es mit 68 % zwar noch einmal einen kurzen Aufwind, die vorletzte Season kommt aber nur noch auf miserable 56 %.
Eine ähnliche Tendenz zeigt sich bei den Bewertungen in der IMDb:
- Staffel 1: 7,9 von 10 möglichen Punkten
- Staffel 2: 8,2 von 10 möglichen Punkten
- Staffel 3: 8,2 von 10 möglichen Punkten
- Staffel 4: 7 von 10 möglichen Punkten
- Staffel 5: 6,7 von 10 möglichen Punkten
- Staffel 6: 6,2 von 10 möglichen Punkten
- Staffel 7: 5,9 von 10 möglichen Punkten
Die ersten 24 Episoden, also Staffel 1 bis 3, haben dabei ausnahmslos die beste Punktzahl abbekommen. Das Finale von Staffel 3 hat das Publikum sogar mit neun von zehn möglichen Punkten belohnt, das Ende von Season 2 liegt mit einer Wertung von 8,9 knapp dahinter.
Darüber hinaus lässt sich festhalten, dass „Élite“ von Staffel zu Staffel Zuschauer*innen verloren hat. Wie FlixPatrol zeigt, lief Staffel 5 zum Start im April 2022 noch 51,38 bis 67,39 Millionen Stunden über die Bildschirme – je nachdem, welchen Zeitraum wir betrachten. Bei Staffel 6 sank diese Zahl auf 36,87 bis 48,27 Millionen Stunden, Staffel 7 kam auf magere 21,1 bis 37,1 Millionen Stunden. Eine Auswertung vom großen Finale steht noch aus – dürfte uns aber in den kommenden Tagen erwarten.
Deutlich besser schneiden die Serien aus unserem Video ab:
Sex Sells: Vom Teen-Thriller zum Soft-Porno
Böse Zungen würden jetzt behaupten, dass der Abfall in der Beliebtheitsskala mit dem ständigen Cast-Wechsel zusammenhängt, aber ich versichere euch: Das ist es nicht. Zumindest nicht nur. Wie Staffel 1 bis 3 bewiesen haben, kann das Publikum gut und gern den ein oder anderen Fokus- und Figurenwechsel verkraften – wenn das denn entsprechend in die Handlung eingewoben wird. Allerdings hat „Élite“ über die Jahre das Element aus den Augen verloren, was der Serie einst Reiz und Spannung verliehen hat: den Charakter eines mysteriösen Coming-of-Age-Thrillers.
Die ersten Kapitel an der Las Encinas haben uns Figuren nähergebracht, mit denen man sich trotz ihrer privilegierten und einzigartigen Lebensgeschichte identifizieren konnte. Egal wie vermögend (oder eben auch nicht) das Elternhaus, durch die Strapazen des Erwachsenwerdens und das Hormonchaos der Jugend kamen auch Guzmán (Miguel Bernardeau), Samuel (Itzan Escamilla), Carla (Ester Expósito) und Co. nicht herum. Bei „Élite“ schwang zu Beginn stets eine wichtige Message mit: Wo auch immer du herkommst, ein Schritt in die falsche Richtung kann dich ganz gewaltig in Schwierigkeiten bringen.
Standen anfangs noch die persönlichen Probleme der Schüler*innen im Fokus, die stets zu einem fesselnden und undurchsichtigen Krimi-Drama führten, sind solche Handlungsstränge mittlerweile nebensächlich. Viel eher richten sich die Kameras inzwischen auf das Sexleben der Charaktere, die nebenbei eigentlich allesamt alkohol- und drogenabhängig zu sein scheinen.
Party, Drogen, Orgien: 16 Jahre und schon (zu) viel erlebt
Werfen wir einen direkten Blick auf Netflix. Dort läuft „Élite“ unter den Genres Teen-, Drama- und Mystery-Serien. Bis zur dritten Staffel würde ich hier mein Einverständnis geben. Ab Season 4 hat die Serie allerdings leider nicht mehr viel mit Mystery oder Thriller zu tun; und mit Teen oder Coming-of-Age schon gar nicht, abgesehen vom Alter der Hauptcharaktere natürlich, das sich zwischen 16 und 20 Jahren bewegt.
Dieser Altersspanne entsprechend verhalten sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in „Élite“ aber schon lange nicht mehr. Herzergreifende Liebesgeschichten und Werte wie Treue weichen Orgien und Fremdgeh-Marathons. Ich kann natürlich nur für mich sprechen, aber so sah meine Jugend definitiv nicht aus – mal abgesehen davon, dass die Schüler*innen der Las Encinas zusätzlich nahezu täglich hemmungslos feiern und dabei Drogen und Alkohol konsumieren, anstatt für Prüfungen zu lernen. Trotzdem hat irgendwie niemand Probleme mit Leistungen und Noten. Schon komisch.
„Élite“ birgt Gefahren in der Publikumswahrnehmung
Doch die Jugendlichen sind nicht die einzigen, die über die vergangenen 64 Episoden einen Wandel durchlebt haben: Während die Eltern der ersten Staffeln schon das kleinste Experimentieren mit Drogen scharf verurteilten und mit entsprechenden Konsequenzen straften, zeigen uns die neueren Staffeln gar Mütter und Väter, die selbst weißes Pulver durch die Nase ziehen, Pillen werfen und von einer verantwortungsvollen Vorbildfunktion weit entfernt sind – und dennoch nie mit dem Jugendamt im Konflikt stehen.
Grundsätzlich ist natürlich positiv hervorzuheben, dass die Charaktere aus „Élite“ offen mit ihrer Sexualität umgehen und experimentieren können, ohne von ihrem näheren Umfeld Ausgrenzung fürchten zu müssen. Aber Party ohne Limit, nahezu konsequenzenloses Fremdgehen und exzessiver Drogenmissbrauch ohne Absturz zeigen dem (vor allem jüngeren) Publikum ein Bild, das nicht der Realität entspricht. Zwar trägt die Serie die Altersfreigabe ab 16 Jahren, doch selbst das ist ein Alter, in dem solche Bilder die Vorstellung eines gesunden (Sex-)Lebens weitreichend beeinflussen können.
Hinzu kommt der Fakt, dass die viele nackte Haut, die wir über die mittlerweile sieben Staffeln zu sehen bekommen, ausschließlich zu durchtrainierten und straffen Körpern gehört. Sixpack, schmale Taille und verführerische Oberweite scheinen mittlerweile beinahe ein Einstellungskriterium für den Cast zu sein. Und je freizügiger diese (auch in der Schule!) präsentiert werden, desto besser kommen die Jugendlichen bei ihrer Clique an. Dass dabei das Selbstwertgefühl der Zuschauenden leiden kann, blendet Netflix gekonnt aus.
Gen Z wünscht sich weniger Sex in Filmen und Serien
Die University of California Los Angeles (kurz: UCLA) hat für eine Studie 1.500 Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von zehn bis 24 Jahren zur Darstellung von zwischenmenschlichen Beziehungen in Filmen und Serien befragt (Heranwachsende zwischen zehn und zwölf Jahren haben dabei keine Fragen zu Sexualität und Romantik gestellt bekommen). Wie die Ergebnisse zeigen, sind Großteile der sogenannten Generation Z die typischen Geschichten mittlerweile leid. Viel eher wünschen sie sich Produktionen, in denen das Leben als Teenie realistisch dargestellt wird. So heißt es in der Auswertung (via Entertainment Weekly):
„Wie dieser Bericht zeigt, sind [die Jugendlichen] der stereotypen, heteronormativen Erzählungen überdrüssig, die romantische und/oder sexuelle Beziehungen aufwerten – insbesondere solche, die toxisch sind – und suchen nach mehr Darstellungen von Freundschaft, die ein zentraler Aspekt des Heranwachsens und des sozialen Wohlbefindens ist.“
Insgesamt bevorzugen 51,5 % der Befragten Inhalte, „die sich auf Freundschaften und platonische Beziehungen konzentrieren“. 44,3 % sind der Meinung, Romanzen werden in den Medien „überstrapaziert“, für 47,5 % sei Sex für die Handlung gar völlig unnötig.
Darüber hinaus gaben die Befragten an, kein Interesse daran zu haben, Charakteren, die nicht zueinander passen, dabei zuzusehen, wie sie sich immer wieder streiten und trennen. Na, wem kommt dabei das Auf und Ab von Samuel und Ari (Carla Díaz) oder die toxisch-gewalttätige Beziehung von Raúl (Alex Pastrana) und Sara (Carmen Arrufat) in den Sinn?
Die Serien aus unserem Video könnten den Geschmack der Gen Z hingegen treffen:
Das Gegenteil von „Élite“: Jugendliche wünschen sich hoffnungsvolle Serien
Viel eher fühle sich die Gen Z zu Produktionen hingezogen, die „hoffnungsvolle, aufmunternde Inhalte mit Menschen, die es mit den Widrigkeiten aufnehmen können“, zeigen. Das trifft auf „Élite“ ganz und gar nicht zu, denn hier jagt eine Katastrophe direkt die nächste. Selbst wenn ein Kriminalfall oder Beziehungsdrama gelöst werden kann, baut sich parallel schon ein anderer Showdown auf, der die Figuren ins Unglück stürzt.
Dr. Yalda T. Uhls, Psychologie-Professorin an der UCLA, fasst die Ergebnisse der Studie wie folgt zusammen:
„Es stimmt zwar, dass Jugendliche weniger Sex im Fernsehen und in Filmen wollen, aber was die Umfrage wirklich aussagt, ist, dass sie mehr und andere Arten von Beziehungen wollen, die sich in den Medien, die sie sehen, widerspiegeln. […] Wir wissen, dass junge Menschen unter einer Epidemie von Einsamkeit leiden und dass sie in der Kunst, die sie konsumieren, nach Vorbildern suchen. Während einige Geschichtenerzähler*innen Sex und Romanzen als Abkürzung für die Bindung zu den Charakteren nutzen, ist es für Hollywood wichtig, zu erkennen, dass Jugendliche Geschichten wollen, die das gesamte Spektrum von Beziehungen widerspiegeln.“
Die Aussage lässt sich natürlich nicht nur auf Hollywood, sondern auch auf europäische Produktionen wie „Élite“ beziehen. Einst zählten die Thriller-Geschichten der Las Encinas zu den vielversprechendsten auf ganz Netflix. Doch auch in Staffel 8 ist es nicht gelungen, persönliche Beziehungen in den Fokus zu rücken, die sich abseits von Bettgeschichten und Rachegelüsten aufbauen. „Élite“ lebt vom Motto „jede*r gegen jede*n“ – oder eben auch „jede*r mit jeder/jedem“.
Netflix gelingt Kehrtwende bei „Élite“ – nur leider viel zu spät
Wie weit sich Netflix von einer realistischen Darstellung des Alltags entfernt hat, scheint den Verantwortlichen der Serie aber keinesfalls entgangen zu sein. Stattdessen endet „Élite“ im großen Finale mit einem Augenzwinkern: Nach der Schließung von Las Encinas müssen die Jugendlichen ihre Abschlussprüfungen an einer staatlichen Schule absolvieren. Dass sie dort nicht hineinpassen, erkennen sie ab der ersten Sekunde auf dem Schulhof.
Ihre protzigen Autos werden skeptisch beäugt, von ihrer freizügigen und extravaganten Kleidung ganz zu schweigen. Unterlegt wird das Szenario passenderweise von The Clashs „Should I Stay or Should I Go“. Erstmals in ihrem Leben fühlen sich Isa (Valentina Zenere), Iván (André Lamoglia) und Co. fehl am Platz – in einer Welt, in der Jugendliche ihrem Alter entsprechend gekleidet sind, mit dem Fahrrad zur Schule fahren, vor der Prüfung noch einmal die Notizen durchgehen und Drogen freundlich ablehnen. Das ist zwar durchaus unterhaltsam, mit knapp drei Minuten präsentiert sich diese erfrischende Kehrtwende aber leider viel zu kurz. Gleichzeitig zeigt sich damit, wie weit Netflix in den letzten Jahren vom eigentlichen Kurs der Serie abgekommen ist.
Abgesehen davon bleiben so einige Handlungsstränge offen oder gar ohne Konsequenzen – und wirken dadurch überhastet und nicht zu Ende gedacht. Isa hat Luis (Alejandro Albarracín) mit seinen eigenen Waffen geschlagen. Der Einstich der Spritze hätte aber spätestens der Gerichtsmedizin auffallen müssen. Chloé (Amber Li) flieht mit Mutter Carmen (Maribel Verdú) vor einer drohenden Haftstrafe – als hätte Sara (Carmen Arrufat) das belastende Video nicht schon längst der Polizei übergeben; ganz abgesehen davon, dass sie nun bemüht ist, den Tod des Menschen zu rächen, der ihr das Leben zur Hölle gemacht hatte… Ach ja, und dann ist da noch Eric (Gleb Abrosimov), der Chloé verzweifelt hinterhertrauert, weil ihre Mutter ihn nicht in deren Leben haben will. So wie wir Chloé kennengelernt haben, würde sie sich dem Willen ihrer Mutter wohl kaum beugen…
Falls ihr mit „Élite“ schon gänzlich abgeschlossen habt und euch nun fragt, welche Inhalte die Gen Z stattdessen empfehlen kann, schafft oben erwähnte Studie übrigens abermals Abhilfe. Wer auf der Suche nach Serien ist, die „Menschen mit einem Leben wie dem meinen“ sowie „Freundschaften“ in den Fokus rücken, sollte ein Auge auf „Stranger Things“, „Heartstopper“ und „The Summer I Turned Pretty“ werfen. Die ersten zwei Titel findet ihr auf Netflix, letztere Serie läuft exklusiv im Stream bei Amazon Prime Video.
„Stranger Things“ habt ihr schon gesehen? Dann ist dieses Quiz für euch sicher kein Problem, oder?