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„Gen V“ beweist: „The Boys“ löst Marvel als aktuell bestes Superhelden-Universum ab

„Gen V“ beweist: „The Boys“ löst Marvel als aktuell bestes Superhelden-Universum ab
© Amazon Studios

Wie so viele blickte ich äußerst skeptisch auf das erste „The Boys“-Spin-off und denke mir jetzt nach der Hälfte der Staffel: Dieses Franchise ist dem aktuellen MCU überlegen.

– Dieser Artikel spiegelt die Meinung des Autoren und nicht notwendigerweise die aller Autor*innen von kino.de wider! –

Bis „Avengers: Endgame“ war ich einer der größten Fans des Marvel Cinematic Universe (MCU), die ich kenne. Cineastische, anspruchsvolle Meisterwerke waren die Titel meiner Ansicht nach nie, aber sie lieferten mir stets zuverlässige Popcorn-Unterhaltung und vor allem das Zusammenspiel der verschiedenen Charaktere ließ mich damals stets begeistert in diese Welt eintauchen.

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Das hat sich inzwischen geändert. Zwar gibt es immer noch MCU-Titel, die mich abholen (beispielsweise „Guardians of the Galaxy Vol. 3“, „Hawkeye“ und „Loki“), doch die Begeisterung ist fast schon einer Ermüdung gewichen. Zu viele Filme und Serien aus der Marvel-Schmiede enttäuschten mich nach „Endgame“, weswegen ich inzwischen selten überhaupt noch mit Erwartungen an neue Titel herantrete. Wie gut, dass es offenbar eine gelungene Alternative für mich gibt und die heißt „The Boys“.

Wo das MCU mir gefühlt immer häufiger inspirationslosen Einheitsbrei vorsetzt, besticht der Amazon-Hit mit einer verrückten Kreativität, die die eh schon interessantere Prämisse auch noch zu nutzen weiß. Statt familienfreundlicher Unterhaltung sind einige der vermeintlichen Held*innen in „The Boys“ die wahren Bösewicht*innen. Nach dem Motto „absolute Macht korrumpiert absolut“ nutzen etliche Figuren ihre Kräfte meist für ihr eigenes Interesse. An vorderster Front steht dabei Homelander (Anthony Starr), eine faschistoide Mischung aus Superman und Captain America. Für welche verrückten Szenen Homelander und die anderen Figur so sorgen, verrät euch dieses Video:

„The Boys“ wird zum Franchise – und übertrifft dabei meine Erwartungen

Dank der höheren Altersfreigabe kann die Amazon-Serie die verstörenden Implikationen seiner Prämisse durchspielen: Was wäre schließlich, wenn Superman ein vom Nationalismus zerfressenes, narzisstisches Kind im Körper einer Massenvernichtungswaffe wäre? Hinsichtlich der gesellschaftlichen und politischen Kommentare hält sich „The Boys“ ebenso wenig zurück und spielt gekonnt damit, dass ein Großteil der Figuren schreckliche, machtversessene Menschen sind, deren Ansichten immer wieder mit vortrefflichen Dialogen ins Lächerliche gezogen werden.

Angesichts des Erfolgs der Hauptserie war es natürlich nur eine Frage der Zeit, bis Spin-offs erscheinen würden – über solche Marktmechanismen des Kapitalismus hat sich „The Boys“ ironischerweise selbst schon öfter lustig gemacht. Dieses hört auf den Namen „Gen V“ und – der Titel legt es nahe – dreht sich um die nächste Generation Superheld*innen, die auf eine entsprechende Universität gehen. Teenie-Drama im „The Boys“-Universum, dachte ich mir im Vorfeld in meiner offensichtlichen Ignoranz – und wurde dann von der Qualität von „Gen V“ völlig überrascht.

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Denn das von mir befürchtete Teenie-Drama hält sich in Grenzen, stattdessen gelingt es dem Spin-off, die Stimmung von „The Boys“ gekonnt einzufangen. Es gibt hier genauso die Kommentare über die Missverhältnisse unserer Gesellschaft und spaßige popkulturelle Referenzen. Die Hauptfiguren von „Gen V“ haben zwar allesamt Superkräfte, die allerdings teils mit enormen Kosten daherkommen. Zudem leiden sie unter nachvollziehbaren, oftmals traumatischen Problemen, teils wegen ihrer Fähigkeiten, teils wegen ihrer Eltern, teils wegen beidem. Zudem besticht der Ableger ebenfalls mit einer schonungslosen Kreativität, die mich neben der Hauptserie teils an den Sci-Fi-Hit „Rick and Morty“ erinnerte. Wie die verschiedenen Kräfte eingesetzt werden, miteinander agieren, welche Bedeutungen hinter ihnen stecken – von all dem könnte sich das MCU gerne mal eine Scheibe abschneiden.

„Gen V“ glänzt mit brutaler, deprimierender, aber auch irre spaßiger Szene

– Achtung: Es folgen Spoiler zu Folge 5 von „Gen V“! –

Wie kreativ „Gen V“ ausfällt, beweist exemplarisch eine fantastische Szene aus der aktuellen Folge 5. Im Zentrum dieser Sequenz steht Sam (Asa Germann), der über übernatürliche Stärke und Widerstandsfähigkeit verfügt, allerdings auch unter psychischen Problemen leidet. Sam war zudem das Opfer eines geheimen Projektes von Vought, der allmächtigen Superheld*innen-Firma im „The Boys“-Universum, wodurch er eingesperrt wurde und offenbar Experimenten ausgesetzt war. In der Folge halluziniert er beispielsweise, dass Schauspieler Jason Ritter („Freddy vs. Jason“) als Moderator einer fiktiven TV-Serie mit Puppen zu ihm spricht.

Sam selbst sehnt sich eigentlich nur nach Ruhe, neigt allerdings öfter dazu, den Menschen um sich herum wehzutun. Mit diesem Problem wird er erneut konfrontiert, als die Einsatztruppe von Vought ihn ausfindig macht und ausschalten will, wodurch ein brutaler Kampf entspinnt, den wir aus Sams Perspektive sehen – weswegen er und alle Soldaten dabei als Puppen dargestellt werden. Was folgt ist ein blutiges Gemetzel, in dem Sam Arme ab- und Gedärme rausreißt. Aber weil alle Puppen sind und das Blut Konfetti ist und die Gedärme Schnüre, wirkt diese eigentlich grausame Sequenz auf übertrieben absurde Art spaßig… bis man Sams Reaktion bemerkt.

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Denn der eh schon traumatisierte Junge wird hier eben einmal mehr in eine Situation gebracht, in der er sich mit Gewalt behelfen muss, was er jedoch absolut nicht will. Entsprechend zerrupft er seine Gegner mit einer schweren Melancholie und wirkt am Ende desillusioniert, ja regelrecht apathisch. Sams Zustand zu nutzen, um solch eine für „The Boys“-Verhältnisse fast schon typische Gewalteinlage visuell aufzulockern und uns zugleich seine Sicht zu vermitteln, dabei trotz der vermeintlich irren, spaßigen Szenerie nicht die ernsten Implikationen zu ignorieren – besser geht es kaum.

Deswegen hebt „Gen V“ für mich das „The Boys“-Franchise zum aktuellen Klassenprimus im Superheld*innen-Genre empor. Ich hoffe sehr, dass Marvel sich von dieser Kreativität inspirieren lässt und sich öfter mal traut, etwas auszuprobieren; man kann ja nicht nur mit Sex und Gewalt dem aktuellen Trott entkommen. Neuen „The Boys“-Serie stehe ich jetzt wiederum deutlich positiver gegenüber, da die Verantwortlichen bewiesen haben, dass sie auch abseits der Comic-Vorlage (hier bei Amazon erhältlich) überzeugende Arbeit leisten können. Vielleicht sollten sie sich allerdings das MCU und deren Flut an Titeln ein warnendes Beispiel sein lassen: manchmal ist weniger eben mehr.

Quiz über „The Boys“: Wie gut kennt ihr die Amazon-Superheldenserie?

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