„Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ ist die erfolgreichste Daily im deutschen Fernsehen. Zum Pride Month werfen wir einen Blick auf die geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in der RTL-Serie. Wie divers ist GZSZ überhaupt?
Als 1992 die erste Folge „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ über die Bildschirme der Nation flimmerte, zeigte die „Lindenstraße“ bereits seit über sechs Jahren den Alltag ihrer Straßenbewohner*innen. Die erste deutsche Seifenoper etablierte schon früh queere Handlungsstränge. Im Jahr 1986 hatte die erste Hauptfigur ihr Coming-out, für sie ließ die WDR-Serie kurze Zeit später die Hochzeitsglocken läuten. Lesbische und schwule Beziehungen wurden bei der „Lindenstraße“ schnell zur Normalität und Queer-Sein war Lebensrealität zahlreicher Charaktere. Die Seifenoper, die in den Anfängen unvorstellbare 15 Millionen Zuschauer*innen verfolgten (via MEEDIA), hatte zweifellos eine Vorreiterrolle inne.
Im neuen Jahrzehnt bekam die deutsche TV-Landschaft schließlich bedeutenden Zuwachs bei der Vorabendunterhaltung. In guten wie in schlechten Zeiten wäscht GZSZ seit nunmehr 30 Jahren die Alltagssorgen der Deutschen weg und ist dabei selbst eigentlich nur ein etwas zu kräftig geratenes Abziehbild unserer Lebenswelten. Rund zwanzig Minuten lang und das fünfmal die Woche öffnet der Berliner Kolle-Kiez seine Pforten und darf sich in Großbuchstaben drama, baby, drama auf die Fahne schreiben. Die Bandbreite der Charaktere ist groß und soll für jede*n Identifikationsmöglichkeiten bieten. Ob gut, böse, irgendwas dazwischen, arm, reich, hetero – oder eben auch queer: Dailys sind für alle da. Aber wie queer ist GZSZ eigentlich?
Einen kompakten Überblick zum Pride Month liefert euch unser Video:
Queer-Sein im Kolle-Kiez
Nachdem die „Lindenstraße“ schon früh ein Zeichen gesetzt hatte, zog „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ schnell nach. Philip Krüger und Fabian Moreno waren 1997 das erste schwule Pärchen bei der Daily. Es folgten unter anderem Lenny Cöster und Carsten Reimann im Jahr 2010 sowie in der aktuellen Storyline Moritz Bode und Luis Ahrens, die sich erst kürzlich trennten. Auch lesbische Beziehungen, wie die von Paula Rapf und Franziska Reuter, wurden in der Daily abgebildet. Anni Brehme war im Jahr 2013 die erste geoutete homosexuelle weibliche Hauptfigur, doch schon viel früher hatte es bei GZSZ Küsse und Sex zwischen zwei Frauen gegeben. Auch Bisexualität spielte bereits häufig eine Rolle. Etwas anders sieht es dagegen hinsichtlich geschlechtlicher Identitäten aus, denn, so wird es zumindest dargestellt, alle Figuren im jetzigen Haupt- wie Nebencast sind cisgeschlechtlich, das heißt ihre geschlechtliche Identität stimmt mit dem Geschlecht überein, das ihnen bei der Geburt zugeschrieben wurde. Und dennoch hat die UFA Serial Drama, die GZSZ für RTL und RTL+ produziert, beim Serienableger „Sunny – Wer bist du wirklich?“ eine trans Figur im GZSZ-Kosmos etabliert. Brix Schaumburg, der die Rolle verkörperte, war damit der erste geoutete trans Mann mit einer durchgehenden Hauptrolle im deutschen Fernsehen, aber auch der erste trans Mann, der eine trans Rolle in der hiesigen TV-Landschaft spielte (via Tagesspiegel).
#NichtsGegenHeteros
Im August 2021 machte sich die Hauptserie schließlich mit der Kampagne #NichtsGegenHeteros gegen Homofeindlichkeit stark. Zahlreiche GZSZ-Stars, darunter Ulrike Frank und Valentina Pahde, zeigten in kurzen Clips, welchen Klischees, Vorurteilen und Beleidigungen die LGBTIQA*-Community ausgesetzt ist und münzten diese entsprechend auf heterosexuelle Personen um. Zeitgleich wurde Homofeindlichkeit, wie schon mehrfach zuvor, in einer Storyline thematisiert. Alexander Möllmann von der UFA Serial Drama erklärte im Zuge der Kampagne gegenüber RTL:
„Die Idee kam mit der aktuellen Geschichte bei GZSZ, um auf Homophobie aufmerksam zu machen […]. Gemeinsam mit den Schauspieler:innen von GZSZ möchten wir so ein Zeichen gegen Homophobie und für ein bewusstes Miteinander in der Gesellschaft setzen.“
Die deutsche TV-Landschaft als Dramaqueen
Das von der LGBTQIA*-Community schon oft kritisierte, besonders dramatische oder tragische Storytelling in Bezug auf queere Charaktere im Film oder im Fernsehen findet sich ebenso bei GZSZ wieder. Schwulsein ist beispielsweise auch im Kolle-Kiez problembehaftet, wird thematisch ausgeschmückt und nicht einfach nur in den Alltag der Kiez-Bewohner*innen eingebettet. Drehbuchautor Christoph Darnstädt findet kritische Worte, als er im Tagesspiegel dazu befragt wird, wie divers das deutsche Fernsehen ist:
„Homosexualität wird fast ausschließlich als Problem erzählt, gesellschaftliche Diskriminierung, Inakzeptanz und so weiter. Protagonisten, die schwul sind, in Geschichten, in denen es nicht thematisch um Homosexualität geht, dazu fällt mir im deutschen Fernsehen nichts ein. Haben Schwule nicht dieselben Lebensrealitätsthemen, Plots wie Heteros?“
In Hinblick auf Dailys muss an dieser Stelle natürlich unterschieden werden. Das beliebte Format, das man früher noch Seifenoper nannte, kennt keine Happy Ends und folgt stattdessen einer endlosen melodramatischen Gefühlsstruktur – und das wiederum gilt eben auch für queere Charaktere und ihre Storylines: Die Handlungsstränge sind nun einmal konfliktbasiert.
Auch „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ reproduziert natürlich Stereotype und könnte ein weitaus diverseres Figurenensemble in den eigenen Storylines etablieren. Aber die Daily sorgt auch für mehr Sichtbarkeit queerer Personen im deutschen Fernsehen und macht dabei vieles richtig. GZSZ hat spätestens nach dem Aus der „Lindenstraße“ eine ähnliche Vorreiterfunktion inne und zudem immenses Potenzial, hier noch stärker die Zügel in die Hand zu nehmen – die Scheuklappen wurden immerhin erst gar nicht aufgesetzt.
Dass die Repräsentation sexueller und geschlechtlicher Diversität über die Jahre immer mehr an Bedeutung gewonnen hat und es vom Writers‘ Room schließlich auch in den Kolle-Kiez geschafft hat, zeigt auch, dass man sich der eigenen Verantwortung bewusst ist. GZSZ hat mit bis zu drei Millionen Zuschauer*innen pro Folge immerhin eine enorme Reichweite, ist Sprachrohr der eigenen Zielgruppe, aber auch ein Spiegel der sozialen Wirklichkeit, der Raum für Illusionen lässt. Die Lebensrealitäten der LGBTQI+-Community gleichberechtigt zu zeigen, sollte dabei aber eben nie zu kurz kommen.
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