Es ist die größte deutsche Fantasy-Produktion unserer Zeit: Amazon Prime zieht das legendäre Hohlbein-Buch „Der Greif“ in internationalem Format auf. Lohnt sich die Serie?
Heike und Wolfgang Hohlbein öffneten mit ihren Jugendromanen einer ganzen Generation die Tür zum Fantasy-Genre. „Der Greif“ erschien 1989 und wurde bis heute über eine Million Mal verkauft. Dass es sich hierbei um den deutschen „Herr der Ringe“ oder das deutsche „Game of Thrones“ handeln soll, ist natürlich in Wirkung und Umfang etwas übertrieben. Aber nicht umsonst blieb „Der Greif“ vielen Kindern der 80er bis heute in Erinnerung. Denn anders als andere konventionelle High-Fantasy-Entwürfe aus der Zeit entwickelt das Buch eine Stimmung und Hintergrundwelt, die sehr eigen ist: eine düstere Kleinstadt-Atmosphäre, in der die mittelalterlichen Skulpturen auf Friedhöfen und Dachgiebeln zum Leben erwachen, und eine fremde Welt, die in einem riesigen Turm mit mehreren Ebenen angesiedelt ist, die auf biblische Motive und eine Welt nach dem Tod anspielt.
„Hohlbeins - Der Greif“ jetzt auf Amazon Prime sehen
34 Jahre nach Veröffentlichung des Buchs kommt es nun zur Verfilmung, die Schauwerte sind hoch, das Format international: Amazon Prime lässt die Serie weltweit in allen großen Sprachen starten. Und die Showrunner Sebastian Marka und Erol Yesilkaya, für ihre „Tatort“-Folge „Meta“ auch Grimme-Preis-gekrönt, sind mit viel Liebe zum Detail und Medium vorgegangen. Für die Serie ließen sie eine eigene Sprache entwickeln - ins Sound-Design der „Gehörnten“ flossen sogar Klick-Geräusche aus der Steinbearbeitung ein. Für Art Design und Kostüme fanden sie Verbündete, die bereits mit Ridley Scott und Guillermo del Toro arbeiteten. Eindrucksvolle Videoeffekte stehen neben handgemachten Prosthetics. Überhaupt ist „Der Greif“ für viele Beteiligte ein Herzensprojekt. Regisseur Marka las das Buch als 12-Jähriger und schmiedet seit mehr als zehn Jahren Pläne, den Roman zu verfilmen.
Deutliche Abweichungen zum Buch
Aber wer das Buch kennt, wird sich erstmal wundern: Die Handlung wurde um einige Jahre nach hinten verlegt, ins Jahr 1994. Die Hauptfigur Mark ist 16 und nicht mehr 13, was die Handlung teilweise plausibler und um einige Teenager-Themen reicher macht. Wo das Buch einem atemlos-spannenden Albtraum folgt und Mark nahezu permanent auf der Flucht ist, setzt die Serie einen anderen Schwerpunkt und bettet die Story in ein westdeutsches Highschool-Setting ein.
Wo das Buch vor allem durch die Handlung vorangetrieben wird und die Charaktere blass bleiben, gibt die Serie insbesondere der Hauptfigur Mark und seiner Mutter echte Konturen. Und auch die Entscheidung, dem Solo-Protagonisten weitere Haupt- und Nebenfiguren an die Seite zu stellen, gibt der Serie mehr emotionale Tiefe (und auch Witz). Auch dass Mark in Therapie ist und selbst nicht genau weiß, ob er mit der anderen Welt nur den traumatischen Verlust seines Vaters verarbeitet, fügt der Geschichte noch eine weitere Ebene hinzu.
Von den konkreten Szenen aus dem Buch bleibt so nicht mehr viel übrig. Und doch steckt in der Serie sehr viel drin. „Hohlbeins - Der Greif“ ist Teenager-Drama, Abenteuergeschichte und Fantasy-Serie. Ein Ensemble von Jugendlichen navigiert sich durch Verwicklungen, Coming-of-Age und Gefahren, der Cast kann überzeugen. Neben die Hauptfigur Mark (gespielt von Jeremias Meyer, „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“) und seinen Bruder Thomas (Theo Trebs, „Der ganz große Traum“) treten weitere neu hinzugefügte Figuren, am auffälligsten Becky (Lea Drinda, „Becoming Charlie“) und Memo (Zoran Pingel, „Kitz“).
Fazit: Das deutsche „Stranger Things“ - und eine nostalgische Zeitreise in die 90er
Mit der Einbettung in ein 90er-Setting wollen die Showrunner offenbar die Generation abholen, die den „Greif“ als Kind gelesen hat, und ihr ein Nostalgie-Gefühl ihrer Teenagerzeit geben - inklusive Grunge/Alternative-Soundtrack, Plattenladen, Mixtapes, 3,5“-Disketten, Chucks, Metal-Kutten, Telefonbüchern, VIVA mit Heike Makatsch. Hey, das ist doch unser Standstaubsauger von damals! Und hatte mein großer Bruder nicht auch dieses „Blind Guardian“-Album? Das funktioniert so weit gut, auch wenn die Handlung und Dialoge streckenweise auf ein jüngeres Publikum zugeschnitten sind. Dass die Serie ab 16 empfohlen ist, begründet sich vor allem in den späteren Folgen, die einige düster-blutige Effektszenen à la „Stranger Things“ enthalten.
Die Serie versucht den Spagat, alle Zielgruppen abzuholen: Die Teens von heute, die sich mit dem Schulhintergrund und den Problemen identifizieren können; erwachsene Fantasy-Fans, die sich über den Weltentwurf freuen; und die Generation X, die in den 80ern die Hohlbein-Bücher las und auf der Nostalgie-Schiene einsteigen könnte.
In dem Gymnasiums-/Highschool-Setting fühlt sich die Serie dann auch mehr wie ein deutsches „Stranger Things“ oder „Buffy“ an als ein deutsches „Ringe der Macht“. Nach den 80ern sind nun also die 90er dran. „Hohlbeins - Der Greif“ ist ein großer Entwurf, eine Würdigung des Fantasy-Autors Wolfgang Hohlbein, und eine spannende Young-Adult-Serie.
Die erste Staffel von „Hohlbeins - Der Greif“ umfasst sechs ungefähr einstündige Folgen und ist auf Amazon Prime verfügbar. Für eine zweite Staffel gibt es bereits Pläne.
Ob ihr die Greifen und weiteren Film-Fabelwesen in unserem Quiz erkennt?