Viermal im Jahr empfängt der Fernsehsalon der Deutschen Kinemathek in Berlin Fernsehschaffende zum Gespräch. In der letzten Ausgabe des Jahres spricht Produzentin Christiane Ruff über das Ende der Comedyformate, verpasste Chancen und den Dschungel als Sozialexperiment.
Sie ist eine von Deutschlands erfolgreichsten Fernsehproduzentinnen, Grimmepreisträgerin und seit 2014 Geschäftsführerin von ITV Studios Germany: Christiane Ruff lernte im Eiltempo Italienisch für „Tutti Frutti“, machte mit Gaby Köster in „Ritas Welt“ den Discounter-Kosmos salonfähig und schickte Reality-Ikone Elena Miras zum Kuppeln nach „Love Island“.
Über ihren Werdegang spricht Ruff mit der Gastgeberin Klaudia Wick im Fernsehsalon, einer Veranstaltungsreihe der Deutschen Kinemathek. In intimer Runde werden Karrieren beleuchtet, Fragen zu Berufsethos und Haltung aufgeworfen, aber auch Debatten über den Status Quo der deutschen Fernsehlandschaft geführt. Nach Julia von Heinz, Dunja Hayali und Katrin Eigendorf komplettiert nun Christiane Ruff das Gästinnen-Line-up in diesem Jahr.
Die in Gelsenkirchen geborene Produzentin, die schon in den späten 1980er-Jahren für RTL Erfolgsformate wie „Tutti Frutti“ an Land zog, begreift das Fernsehen in erster Linie als kommunikatives Medium, wie sie Wick im Gespräch verrät. Vor allem wolle sie „Zuschauer erreichen“, ihnen aber auch eine Projektionsfläche bieten mit Sitcom-Figuren wie der koddrigen Rita aus „Ritas Welt“ oder der alleinerziehenden Krankenschwester Nikola aus der gleichnamigen Fernsehserie. Dass ihre Liebe zu aneckenden Charakteren in rekordverdächtigen Quoten am Freitagabend kulminierte und RTLs Quotenjagd zu einer erfolgreichen werden ließ, ist Beweis genug für Ruffs Händchen bei der Auswahl erfolgsversprechender Formate. Über die Absage, die sie Hugo Egon Balder für die Idee zu „Genial Daneben“ damals erteilte, und dessen heute noch andauernden Seitenhiebe kann Ruff nur herzlich lachen – Fehler passieren eben und verpasste Chancen gehören zum Berufsrisiko.
It’s over now: von Comedy zu Reality
Über die Jahre hat sich das Sehverhalten der deutschen Fernsehzuschauer*innen natürlich verändert; Comedy-Formate werden höchstens noch als TV-Urgesteine aus den Archiven hervorgeholt, solange sie nicht „LOL“ heißen, woraufhin Ruff die Frage nach Eskapismus in den Raum wirft. Auf die Comedy-Krise folgte schließlich auch eine berufliche, denn die Produzentin befürchtete, den „Zugang zum Publikum verloren“ zu haben und zog sich daraufhin für einige Jahre aus der Branche zurück.
Nach ihrem Comeback wurde Ruff 2014 Geschäftsführerin der Produktionsfirma ITV Studios Germany, in deren Portfolio unter anderem Reality-Formate wie „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“, „Love Island“ und „Queer Eye Germany“ versammelt sind. Ersteres zählt zu den quotenstärksten RTL-Formaten, aber auch das beim Schwestersender ausgestrahlte „Love Island“ konnte sich längst als Publikumsliebling etablieren. Nur die für Netflix produzierte Makeover-Show „Queer Eye Germany“ schaffte es als deutscher Ableger nicht über eine erste Staffel hinaus – Probleme, die bei „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ keine sind und niemals welche waren. Dass dem Dschungelcamp einmal die Puste ausgeht, ist wohl eher bildungsbürgerliche Utopie als realistisches Szenario; aktuell wird, wie für diese Jahreszeit gewöhnlich, über die Teilnehmenden der 16. Staffel spekuliert:
Mehr als nur Dr. Bob: Care-Arbeit im Dschungel
Beim Dschungelcamp, so Ruff im Gespräch, komme es vor allem auf die Zusammenstellung der Kandidat*innen an – die dann immerhin jeden Januar zu einem imposanten „Sozialexperiment“, wie es die Produzentin formuliert, einberufen werden, das Unterhaltung für zuletzt durchschnittlich 4,05 Millionen Zuschauende bietet (via Statista). Dass es bei dieser Resonanz auch den ein oder anderen Shitstorm für die Teilnehmenden hageln kann, ist Ruff bewusst. Sie verweist bei der berechtigten Frage nach der Verantwortung auf die Aufsichtspflicht und nimmt dabei andere Produktionen scharf in die Kritik: Das bei allen von ITV Studios produzierten Reality-Formaten praktizierte „Duty-of-Care-System“, das eine engmaschige psychologische Betreuung mit vorheriger Profilerstellung, ein Debriefing [eine Form der Nachbesprechung mit den Teilnehmenden, Anm. d. Red.], aber auch die Bereitstellung von festen Ansprechpartner*innen weit über das Ende einer TV-Ausstrahlung hinaus umfasst, sei längst nicht Regel im Reality-Show-Business.
Dass beispielsweise an der Produktion des Dschungelcamps bis zu 400 Mitarbeitende beteiligt sind und Ruff auch bei anderen Produktionen selbst schon oft vor Ort war, dürfte maßgeblich sein für ihren Anspruch an die eigene Arbeit: Als Verantwortliche will sie „die Anatomie jeder Show […] tatsächlich verstehen.“ Nachdem das Format während der Hochzeit der Coronapandemie im Frühjahr 2021 als Studioproduktion auf Sendung ging und im vergangenen Jahr auf Südafrika ausweichen musste, freut sich Ruff jetzt aber erst einmal auf die Rückkehr ihrer Camper in die wahre IBES-Heimat: Australien.
Dort wird ab dem 13. Januar 2023 die eingeschworene Trash-TV-Gemeinde wieder zweieinhalb Wochen lang den Nährboden und die Urform des Dschungel-Eskapismus studieren und von der Produktion sorgsam ausgewählte Kandidat*innen wie einst Elena Miras in die legendären Dschungelprüfungen votieren. Ein sündhafter Genuss, den Ruff selbst überraschenderweise nicht vollends auskostet: Bei den kulinarischen RTL-Belastungsproben verlässt sie dann doch meistens den Raum, verrät sie Wick lachend – Realitätsflucht einmal anders.
Ab heute kann die Ausgabe des Fernsehsalons mit Christiane Ruff auf der Website der Deutschen Kinemathek unter diesem Link kostenlos gestreamt werden. Auch die vergangenen Folgen sind dort online abrufbar. Im neuen Jahr wird die Journalistin und Moderatorin Sandra Maischberger die Gesprächsreihe eröffnen.