Nach dem Ausstieg von Charly Hübner übernimmt dessen Ehefrau Lina Beckmann den Platz an der Seite von Anneke Kim Sarnau. Warum der Besetzungscoup nicht nur auf dem Papier ein echter Knaller ist, erfahrt ihr in Mareks „Polizeiruf 110“-Kritik zur Episode „Seine Familie kann man sich nicht aussuchen“.
Welche Kommissare ermitteln im „Polizeiruf 110“ „Seine Familie kann man sich nicht aussuchen“?
Über 10 Jahre verputze Sascha Bukow die dicksten Fischbrötchen, die die hiesige Fernsehlandschaft zu bieten hatte, dann stieg Charly Hübner aus dem „Polizeiruf 110“ aus und das explosivste Duo der sonntagabendlichen Krimiunterhaltung war Geschichte. Die komplizierte Liebesbeziehung zwischen der emotional versteiften LKA-Analystin Katrin König und dem Rostocker Gemütsberserker war Blaupause für so manches „Tatort“-Gespann, die lineare Erzählweise mit all den überbordenden persönlichen Befindlichkeiten konnte aber niemand so glaubwürdig in Szene setzen wie der Filmemacher Eoin Moore und sein Traumpaar aus der Hansestadt.
Folgerichtig hat er mit dem Neuanfang an der Ostsee nichts zu tun, sondern überlässt das Feld dem erfahrenen Autor Florian Oeller und seinem Regisseur Stefan Krohmer, der erstmals einen Krimi am Sonntagabend zu verantworten hat. Für die neu gewonnene Tonalität erweist sich der Wechsel dann auch als probates Mittel. Zwar ist die Lücke, die Charly Hübner hinterlassen hat, an vielen Stellen des mittlerweile 25. Rostocker „Polizeirufs“ spürbar, dennoch gelingt es vor allem seiner Nachfolgerin, für einen adäquaten Ersatz zu sorgen. Qualität ist manchmal eben doch Familiensache, auch wenn man sich seine Sippschaft nicht immer aussuchen kann, wie uns der Titel wissen lässt.
Hätten Bukow und König beim „Tatort“ ermittelt, wären sie in folgendem Video natürlich vertreten.
Worum geht es im „Polizeiruf 110“ „Seine Familie kann man sich nicht aussuchen“?
Ein junger Anhalter entgeht nur knapp einem sexuellen Übergriff und sticht seinem Angreifer mehrfach in den Oberschenkel. Nur kurze Zeit nach dem Vorfall gerät der drogenabhängige Jugendliche ins Visier der Rostocker Polizei, allerdings wegen eines gänzlich anderen Falls. Seine Nachbarin wurde erstochen, ihr schwer behinderter Sohn starb Stunden später, weil niemand seine Infusion wechseln konnte. Befand sich der Anhalter etwa mit der Tatwaffe auf der Flucht?
Katrin König hegt Zweifel an der simpel anmutenden Theorie und nimmt die Familien der Ofer und des vermeintlichen Täters näher unter die Lupe. Dann taucht Bukows Halbschwester Melly Böwe aus Bochum auf, die ebenfalls als Kommissarin bei der Polizei beschäftigt ist und rückt den Fall in ein gänzlich neues Licht.
Mareks „Polizeiruf 110“-Kritik: Rostocker Krimi erfindet sich neu
Der Sascha kommt nicht zurück. Mit diesem schnöden Satz scheint Revierleiter Henning all die dramatischen Ereignisse eines ganzen Jahrzehnts wegschnipsen zu können, als hätte es sie nie gegeben. Auch die überraschend erholt und aufgeräumt auftretende Katrin König bestätigt zunächst diesen etwas irritierenden Eindruck, bevor uns eine raffiniert montierte Szene eines Besseren belehrt.
Während Melly Böwe ihre liebevoll verzierten Muffins mit gütigem Blick spielerisch leicht in den Ofen gleiten lässt, massakriert Katrin König parallel eine Backmischung für Dreijährige und offenbart dann doch einen vielsagenden Blick in ihr Seelenleben, ohne dabei ein einziges Wort sprechen zu müssen. Fast schon beiläufig verrät uns dieser kleine Moment aber auch eine Menge über die verschiedenen Gemüter der neuen Rostocker Ermittlerinnen, die künftig das Herzstück des „Polizeiruf 110“ bilden werden, soweit es denn bei der fortlaufenden Erzählstrategie bleibt, wovon auszugehen ist.
Dennoch setzt der erste Fall ohne Charly Hübner gerade mit seiner überraschend herzlich und zugewandt gezeichneten Nachfolgerin einen ganz eigenen Ton und tappt damit dankenswerterweise nicht in Falle, die Vergangenheit nachahmen zu wollen. Entsprechend bekommt auch der Fall an sich eine neue Form der Aufmerksamkeit, die den letzten Auftritten von Bukow und König in all ihrer eigenen Abgründigkeit abhanden gekommen war. Vieles spricht nach diesem Krimi also dafür, dass die neu gewählte Taktik auch in der Zukunft aufgehen wird.
Die „Polizeiruf 110“-Episode „Seine Familie kann man sich nicht aussuchen“ wurde am Sonntag, dem 24. April 2022 um 20:15 Uhr in der ARD ausgestrahlt und ist jetzt für sechs Monate in der Mediathek als Wiederholung im Stream verfügbar. Als nächstes geht es zum „Tatort“ nach Nürnberg. Warum die Folge „Warum“ trotz Starbesetzung nicht ganz mit der gewohnten Qualität ihrer Vorgänger mithalten kann, erfahrt ihr hier.