Bootsmann statt Kapitän: Für den Wellengang in seinem neuesten Fall ist Thorsten Falkes Partnerin Julia Grosz zuständig, die diesmal das Ruder beim Hamburger „Tatort“ fest in ihren Händen hält. Warum das über weite Strecken bestens funktioniert, erfahrt ihr in Mareks Kritik zur Episode „Schattenleben“.
Welche Kommissare ermitteln im „Tatort“ „Schattenleben“?
Seit bald zehn Jahren ermittelt Kinostar Wotan Wilke Möhring zwischen Elbe und Alster, so richtig eingebrannt hat er sich in den Kanon der beliebtesten deutschen Krimireihe trotzdem nicht. Wer an den „Tatort“ denkt, hat meist den Klamauk der Münsteraner Quotengiganten, die routinierten Kölner oder die alten Herren aus München im Sinn, erst nach einiger Überlegung dürfte das Gespann Falke und Grosz vor dem geistigen Auge erscheinen.
Dabei ist am Hamburger „Tatort“ bis auf einen im Küstennebel versenkten Ausflug nach Norderney nicht viel auszusetzen. Die Fälle des authentisch gezeichneten Bundespolizisten mit Vorliebe für die Rolling Stones sind meist solide Krimikost, der Umgang mit seiner Partnerin erfrischend unaufgeregt und die kleinen Spleens am Rande wohl dosiert und geschmeidig im Abgang. Was ist also das Problem?
Vielleicht mangelte es bislang schlichtweg an einem wirklich spektakulären Krimi, dessen Handlung sich auch Jahre später noch im kollektiven Gedächtnis der Fernsehnation festsetzen würde, möglicherweise verbinden viele mit Wotan Wilke Möhring aber einfach nach wie vor vornehmlich Kinofilme wie „Das perfekte Geheimnis“. Zur Lösung kann sein neuester „Tatort“ jedenfalls wenig beitragen, stellt er doch Falkes Partnerin in den Vordergrund. Darüber hinaus ist „Schattenleben“ erneut ein guter, aber wieder einmal kein herausragender Krimi geworden. Immerhin beschert er uns einige interessante Einblicke in das Seelenleben von Kommissarin Julia Grosz.
Wer sich auf die dramatischste Art und Weise vom „Tatort“ verabschiedete, erfahrt ihr im Video.
Worum geht es im „Tatort“„Schattenleben“?
Die Hamburger Polizei wird von einer Anschlagsreihe erschüttert, an deren Höhepunkt die Ehefrau eines Beamten schwer verletzt wird. Schnell gerät die linke Szene ins Visier der Bundespolizei, die bereits seit einiger Zeit eine verdeckte Ermittlerin in ein zugehöriges Frauenhaus eingeschleust hat.
Nach deren Verschwinden beschließt Julia Grosz, sich unter falscher Identität Zugang zum Milieu zu verschaffen, schließlich war die Polizistin für sie weit mehr als nur eine Kollegin. Falke erklärt sich bereit, ihren Alleingang zu decken und erfindet schnell ein paar Notlügen, um der vorschriftsgemäßen Ermittlungsarbeit zumindest dem Schein nach gerecht zu werden. Hat er sich zu weit aus dem Fenster gelehnt?
Mareks „Tatort“-Kritik: Gelungener Seelenstriptease mit starken Figuren
Vorhang frei für Franziska Weisz: Die gebürtige Wienerin darf in ihrem 11. „Tatort“-Einsatz nicht nur die erste Geige spielen, sondern ihrer Figur auch eine Bandbreite an Facetten entlocken, für die andere ihre gesamte Dienstzeit aufwenden müssen, wenn sie denn überhaupt so viel in die Waagschale werfen dürfen.
Der Einblick in die Vergangenheit von Julia Grosz offenbart eine leidenschaftliche Affäre mit der verschwundenen Undercover-Ermittlerin, bei der das Feuer immer noch lodert und die zu ungeahnten Szenen führt, die in dieser Form selten an einem Sonntagabend im Ersten Deutschen Fernsehen zu erleben waren. Dass die Kommissarin wie ein Teenager dahinschmachtet wirkt dankenswerterweise nicht aufgesetzt, vielmehr erklärt es die Motivation der sonst eher korrekt auftretenden Beamtin, für die Suche nach der Polizistin alle Dienstvorschriften weitgehend außer Kraft zu setzen.
Auch wird ihr beinahe schon zärtlicher Umgang mit einer der Hauptverdächtigen durch diesen Kniff plausibel und bildet das Herzstück eines stark vorgetragenen, in sich stimmigen Dramas, in dem nur die eigentliche Kriminalgeschichte unterm Strich etwas dünn ausfällt. So bleibt trotz allen überraschenden Einblicken in das Seelenleben von Julia Grosz in Hamburg am Ende alles beim Alten. Wieder gelingt ein guter Krimi, wieder fehlt am Ende ein kleines Quäntchen zum ganz großen Wurf. Der wird aber irgendwann kommen. Ganz sicher.
Die „Tatort“-Episode „Schattenleben“ wurde am Sonntag, dem 12. Juni 2022 um 20:15 Uhr in der ARD ausgestrahlt und ist jetzt für sechs Monate in der Mediathek als Wiederholung im Stream verfügbar. Als nächstes geht es nach München zum herausragenden „Tatort: Flash“.