Originell, durchgehend spannend und mit einem denkwürdigen Finale, das vielen alteingesessenen Krimifans als Affront vorkommen dürfte, liefern Kommissar Berg und seine Kollegin Tobler am Pfingstmontag ihren bislang besten Fall ab. Warum sämtliche Altlasten endgültig begraben wurden, erfahrt ihr in Mareks Kritik zum „Tatort: Letzter Ausflug Schauinsland“.
Welche Kommissare ermitteln im „Tatort: Letzter Ausflug Schauinsland“?
Die Tränen des textilfreien Unfugs aus dem vermaledeiten „Tatort: Ich hab im Traum geweinet“ sind schon lange getrocknet, mittlerweile punkten Franziska Tobler und Friedemann Berg regelmäßig als unaufgeregtes Duo, das in immer interessanter werdenden Fällen seine stimmige Chemie unter Beweis stellen darf. So auch in ihrem bislang besten Krimi, der die etwas steifen Anfangstage ein für allemal zu den Akten legt.
Wunderbar beiläufig dringt das facettenreiche Drehbuch von Stefanie Veith tief in die unterschiedlichen Charaktere auf dem Revier ein, aufgesetzt wirkt im Zusammenspiel von Eva Löbau und Hans-Jochen Wagner nichts. Allein die Szene, in der Kommissar Berg mit sich kämpft, ob er einer Tatverdächtigen die in deren Garten aufgestapelten und von ihm dringend benötigten Dachziegel abkaufen oder sich gar heimlich an ihnen bedienen sollte, es dann aber nicht tut, verrät mehr über sein Wesen als tausend Worte. Überhaupt erzählt der neuste Breisgauer „Tatort“ viel über seine elegante, aber immer zweckdienliche Bildsprache, in der sogar eine riesige Echse nicht fehl am Platz wirkt.
Geht es im Schwarzwald so weiter, müssen wir unser Video der elf besten „Tatort“-Teams um das Gespann Tobler und Berg erweitern.
Worum geht es im „Tatort: Letzter Ausflug Schauinsland“?
Nicht gerade oft stattet ein „Tatort“ so viele Verdächtige mit einem plausiblen Mordmotiv aus wie dieser Ausnahmekrimi um die erdrosselte Psychologin Lisa Schieblon. Unter Beobachtung steht ihr Klient Hansi Pagel, der wegen Vergewaltigung seiner Ehefrau und einer angeblichen Persönlichkeitsstörung in der Psychiatrie einsitzt. Das Gutachten des Mordopfers sollte seiner Entlassung dienen, doch die beiden verband weitaus mehr, schließlich ermöglichte ihm die Tote, sie unbeaufsichtigt auf dem Rastplatz zu treffen, an dem sie kurze Zeit später starb. Hat Pagel sie im Affekt getötet? Oder hatte sein Zimmergenosse Milan Angst, dass sein bester Freund und seine einzige Bezugsperson dank des Gutachtens die Psychiatrie verlassen könnte?
Auch die Familie von Hansi Pagel gerät ins Visier der Polizei. Dessen alkoholkranke Ehefrau sowie sein angewiderter Sohn wollten auf gar keinen Fall, dass der Verurteilte auf freien Fuß kommt und womöglich wieder in ihr Leben tritt. Zu guter Letzt ist da auch noch der Ehemann der Ermordeten, der für Friedemann Bergs Geschmack etwas zu gefasst über die Vorzüge einer freien Beziehung schwadroniert. Hat er seine Frau etwa aus Eifersucht ermordet? Als die Polizei dann noch auf Ungereimtheiten innerhalb der Klinikleitung stößt, ist der Fall für sie als maximal verzwickt zu bewerten, für uns auf der heimischen Couch allerdings als willkommenes Ratespiel, das in diesen Ausmaßen selten an einem Sonntagabend über den Bildschirm flimmert.
Mareks „Tatort“-Kritik: Ein Fest für alle, die den Krimi am Sonntagabend lieben
Es gibt „Tatorte“ wie den prätentiösen Kunstquark „Erbarmen. Zu spät.“, in dem bedeutungsschwanger vom Himmel regnendes Blut für einen unfreiwilligen Lacher sorgt und es gibt Krimis wie diesen, in dem eine plötzlich auftauchende Echse zwar für einen Schreckmoment verantwortlich ist, letztlich aber als visualisierte Wahnvorstellung eines Psychopathen bestens funktioniert und der eigentlichen Kriminalgeschichte dienlich ist. Die ist das Herzstück dieses hervorragend vorgetragenen „Tatorts“, der auf all seinen vielen Ebenen glänzen kann.
Die Ambivalenz des von Rüdiger Klink einnehmend verkörperten Tatverdächtigen Hansi Pagel, die in ihren stärksten Momenten an Milos Formans Meisterwerk „Einer flog über das Kuckucksnest“ erinnernden Impressionen aus der Psychiatrie und nicht zuletzt der seelische, sich im Zustand ihrer provisorisch zusammengeflickten Behausung spiegelnde Zerfall von Pagels Familie sind so sorgfältig, in sich stimmig und glaubwürdig in Szene gesetzt, dass es allen, die einen durchdachten Film zu schätzen wissen, das Herz aufgehen lassen sollte. Fast schon folgerichtig, dass ein solcher „Tatort“ nicht mit einem Finale nach Schema F enden kann und das tut er dann auch nicht. Die Verweigerung der bekannten Muster dürfte für manche einer Provokation gleichkommen, sie ist am Ende aber ein weiterer Mosaikstein eines ungewöhnlichen, großen Krimis, auf den wir gerne einen Tag länger warten als gewohnt. Dabei haben wir über Psychiatriechef Dr. Thorsten Günnewig noch gar nicht gesprochen…
Der „Tatort: Letzter Ausflug Schauinsland“ wurde an Pfingstmontag, dem 20. Mai 2024, um 20:15 Uhr in der ARD ausgestrahlt und ist jetzt für sechs Monate in der Mediathek als Wiederholung im Stream verfügbar. Als nächstes geht es zum Münchner „Polizeiruf 110: Funkensommer“ und damit zum Abschluss der aktuellen Krimi-Saison.