Nach ihrem ernüchternd sachlichen Debüt als neues Berliner „Tatort“-Gespann bekommen Corinna Harfouch und Mark Waschke nun einen erstklassigen Krimi spendiert, der an die Glanztaten des alten Duos Karow und Rubin anknüpfen kann. Warum die Episode „Am Tag der wandernden Seelen“ so gut wie keine Wünsche offen lässt, erfahrt ihr wie immer in Mareks Kritik.
Welche Kommissare ermitteln im „Tatort: Am Tag der wandernden Seelen“?
Zusammen mit Meret Becker bildete Mark Waschke das explosivste Duo der jüngeren „Tatort“-Geschichte. Zudem fungierte unsere Hauptstadt mit all ihrem widersprüchlichen, dreckigen Glitzer als dritte Hauptdarstellerin, ein Clou, von dem die verhältnismäßig biederen Vorgänger Ritter und Stark nur träumen konnten. Entsprechend blutleer mutete im vergangenen Jahr der Berliner Neuanfang an, der trotz seiner brisanten Thematik um rechtsradikale Seilschaften in jeder beliebigen deutschen Großstadt hätte spielen können. Doch das ist Schnee von gestern. Der aktuelle Fall zeigt nicht nur seine Stars Mark Waschke und Corinna Harfouch auf der Höhe ihrer Kunst, auch als originelles Krimi-Konstrukt kann er nahtlos an die Klasse anknüpfen, die sich in jüngerer Vergangenheit an der Spree etabliert hat.
Das Gedenken an die verstorbene Kommissarin Nina Rubin, die für den als Eisklotz verkannten Karow mehr als eine Kollegin war, ist diesmal kein Tabu und sorgt für die wohl berührendste Szene, die Mark Waschke bislang am Sonntagabend spielen durfte. Sie reiht sich ein in einen außergewöhnlichen Krimi, der das neue Team dank seiner stimmungsvollen Aufmachung und seiner soghaften Inszenierung mit einem Jahr Verspätung im „Tatort“-Kanon fest verankert. Schade, dass Corinna Harfouch nur noch für drei weitere Krimis zur Verfügung steht, jetzt, wo sie in Berlin wirklich angekommen ist. Interessante Fakten über den „Tatort“ findet ihr im Video.
Worum geht es im „Tatort: Am Tag der wandernden Seelen“?
Selten dauerte die Begehung eines Tatorts länger als an diesem Sonntag: Die erstochene Leiche eines Mannes in seinem abgeschiedenen Haus in der Nähe des Berliner Tierparks bietet Robert Karow und Susanne Bonard einen größeren Schrecken, als sie sich von dem vermeintlichen Routineeinsatz erwarteten. Im Keller finden sie eine Folterkammer, aus dem sich das Opfer befreien und zum Täter werden konnte. Notwehr war es, sonst nichts, so die Juristin Bernard, die eine Panikattacke kurzzeitig aus der Bahn wirft. Doch wer wurde in dem angeblich so stillen Haus gequält und warum?
DNA-Spuren weisen den Weg zur Tierärztin Lê Müller, die eine Schlüsselrolle in der vietnamesischen Gemeinschaft Ostberlins einnimmt und der Polizei zunächst mit Misstrauen begegnet. Stück für Stück dringen Robert Karow und Susanne Bonard in eine ihnen fremde Welt vor, die ohne einen Blick in den real existierenden Sozialismus der DDR und dessen Untergang kaum zu verstehen wäre.
Mareks „Tatort“-Kritik: Ausrufezeichen aus der Hauptstadt
Es gibt zwei Möglichkeiten, um das Grauen einer Folterkammer wirkungsvoll in Szene zu setzen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Vor wenigen Wochen ersparte uns der Münchner „Tatort: Schau mich an“ kaum ein Detail und reizte die Grenzen des Zeigbaren bis ins Unerträgliche aus. Diesmal ist es anders. Von den Aufnahmen der im Keller des Ermordeten vorgefundenen VHS-Kassetten sehen wir so gut wie nichts, stattdessen bleibt die Kamera an dem Gesicht von Robert Karow hängen, der das Material stellvertretend für seine Kollegin und uns alle vor den Fernsehapparaten sichtet. Allein die Regungen und Blicke von Mark Waschke reichen aus, um das Kopfkino anzuschmeißen und eindrucksvoll unter Beweis zu stellen, dass diese deutlich elegantere Variante mindestens genauso viel Unbehagen verbreitet wie der Tabubruch an der Isar.
Eleganz ist grundsätzlich der passende Begriff für diesen von Moritz Anton traumhaft in Szene gesetzten, herausragend gespielten Krimi, dessen originelles Drehbuch den Spannungsbogen mit all seinen Wendungen konstant hochhält und dem neuen Berliner Duo dabei genug Raum lässt, um Stück für Stück zu einer Einheit zu reifen. Was dem Vorgänger in einer 180-minütigen Doppelfolge nur spärlich gelang, funktioniert hier in der Hälfte der Zeit bestens und stimmt gleichzeitig traurig. Dass wir Corinna Harfouch und Mark Waschke bald nicht mehr gemeinsam auf dem Bildschirm erleben, ist der einzige Wermutstropfen auf einem überragenden Ausnahme-Krimi, der schon jetzt das Zeug dazu hat, in Zukunft als Klassiker der gesamten Reihe angesehen zu werden.
Der „Tatort: Am Tag der wandernden Seelen“ wurde am Sonntag, den 5. Mai 2024, um 20:15 Uhr in der ARD ausgestrahlt und ist jetzt für sechs Monate in der Mediathek als Wiederholung im Stream verfügbar. Als nächstes geht es zum Magdeburger „Polizeiruf 110“ und der verhältnismäßig schwachen Episode „Unsterblich“.