Etwas überraschend wird das Bremer Trio in seinem neusten Fall zum Duo zurechtgestutzt. Warum sich der wilde Thriller auch ohne seinen Star Dar Salim lohnt, erfahrt ihr in Mareks „Tatort“-Kritik zur Episode „Liebeswut“.
Welche Kommissare ermitteln im „Tatort“„Liebeswut“?
Die Bremer Polizei gab sich noch nie mit kleinen Fischen zufrieden, schon immer hatten Kommissarin Inga Lürsen und ihr Kollege Nils Stedefreud den ganz großen Fang vor Augen. Daran hat sich auch nach ihrem Ausstieg nichts geändert, wie der neuste Fall von der Weser mit seiner grellen Bilderflut eindrucksvoll unter Beweis stellt.
Zwar musste der dänische Elitekämpfer Mads Andersen diesmal seine Zelte in Kopenhagen stehen lassen, dafür taucht der „Tatort“ tief in die prekäre Vergangenheit von Kommissarin Liv Moormann ein, deren Kindheitstrauma aus seinen nebulösen Erinnerungsfetzen ausbricht. Von Jasna Fritzi Bauer einmal mehr herausragend verkörpert, stiehlt die Polizistin diesmal selbst ihrer exzentrischen Kollegin Linda Selb alias Luise Wolfram die Show, die als eigensinniger Bonvivant bislang das Herzstück des neuen Bremer Teams bildete. Da stört es auch nicht weiter, dass die wilde Geschichte eher mit einem Farbroller statt einem feinen Pinsel aufgetragen wurde. Decken tut das tiefe Rot jedenfalls bestens.
Worum geht es im „Tatort“ „Liebeswut“?
Ein Wohnungsbrand, mehr nicht, stellt die enttäuschte Linda Selb am „Tatort“ fest und wendet sich schnell ab. Eine innere Stimme veranlasst ihre Kollegin Moormann hingegen, genauer nachzusehen, schließlich wurden Schüsse vom Nachbarn gemeldet. Tatsächlich entdeckt die Polizei eine hermetisch abgeriegelte Tür und hinter ihr die Leiche der vom Brand unversehrten Mieterin.
Mit der Waffe in der Hand liegt Susanne Kramer in ihrem Hochzeitskleid erschossen im Bett, das tragische Ende einer langwierigen psychischen Erkrankung, so die Meinung ihrer rasch eingetroffenen Eltern. Doch wo sind ihre beiden Kinder und was hat es mit dem seltsamen Verhalten des Nachbarn auf sich, der besonders Kommissarin Moormann immer näher auf die Pelle rückt? Oder etwa sie ihm? Statt normaler Ermittlungsarbeit eröffnen sich ungeahnte Abgründe, in denen die Grenzen zwischen Traum, Erinnerungen und Realität immer mehr verschwimmen. Zum Glück versucht wenigstens Linda Selb, klaren Kopf zu behalten und nimmt den Hausmeister der Schule der verschwundenen Kinder in die Mangel. Das bleibt nicht ohne Folgen.
Mareks „Tatort“-Kritik: Dritter Bremer Krimi punktet als greller Thriller
Konzentrierte sich der neue Bremer „Tatort“ bislang auf das Zusammenspiel seines grundverschiedenen Trios, entfesselt Autorin Martina Mouchot mit „Liebeswut“ eine mit heißer Nadel gestrickte Räuberpistole, die mit einem biederen Krimi am Sonntagabend so wenig gemein hat, wie das Bremerhavener Goethequartier mit der hanseatischen Noblesse in Schwachhausen. Zwar ist nicht jede Wendung ein Treffer und nicht jede Szene ein Glücksgriff, wie etwa die dann doch recht aufgesetzt wirkende soziale Inkompetenz von Exzentrikerin Linda Selb, dennoch entwickelt der Thriller einen Sog, der ihn letztlich mühelos über alle Stolpersteine hievt.
Ein herrlich gegen den Strich besetzter Matthias Matschke, das zupackende Spiel von Jasna Fritzi Bauer und nicht zuletzt die ausufernde Bildsprache von Kameramann Christian Huck tun ihr Übriges, um zu einem gelungenen Fernsehabend auf der Couch beizutragen. Hätte das Thema um vermeintlichen Kindesmissbrauch einen ernsteren Rahmen verdient? Mit Sicherheit, doch das heißt nicht, dass der Tatort: Liebeswut“ ein schlechter Krimi ist. Im Gegenteil, als Reißer mit einem gewissen Hang zum B-Movie funktioniert er bestens, was auch einfach mal genug sein darf.
Die „Tatort“-Episode „Liebenswut“ wurde am Sonntag, den 29. Mai 2022 um 20:15 Uhr in der ARD ausgestrahlt und ist danach in der Mediathek für sechs Monate als Wiederholung im Stream verfügbar. Als nächstes geht es nach Dresden und dem stellenweise ähnlich gelagerten „Tatort: Das kalte Haus“.