„The Last of Us“ gelingt ein fulminanter Einstieg, der auch Kenner*innen des Videospiels überrascht – und nicht nur deswegen gnadenlos effektiv ist.
– Dieser Artikel spiegelt die Meinung des Autoren und nicht notwendigerweise die von kino.de wider. Es folgen Spoiler zu Folge 1 von „The Last of Us“! –
Das erste Serien-Highlight in 2023 ist gestartet, denn „The Last of Us“ überzeugte mit Folge 1 sowohl Kritiker*innen als auch die meisten Fans. Den Showrunnern Craig Mazin („Chernobyl“) und Neil Druckmann, der schon die Videospielvorlage erschuf, gelang es offenbar, den hohen Erwartungen gerecht zu werden, was bei einer solch beliebten Vorlage wahrlich nicht selbstverständlich ist.
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So ganz ohne Änderungen kommt aber natürlich keine Serienadaption aus, zumal es sonst ja für die Fans, die das Videospiel bereits kennen, auch ein wenig langweilig wäre. Dass uns hier eine neue Version der Geschichte erwartet, wollten Mazin und Druckmann direkt mit der ersten Szene deutlich machen. Mazin verriet dazu jüngst, dass er für das sogenannte Cold Open, also eine Szene, die noch vor dem Intro gezeigt wird, eigentlich eine drastische Darstellung im Sinn hatte: Er wollte zeigen, wie der Cordyceps-Pilz, den es wirklich gibt, eine Ameise befällt und übernimmt. Damit wäre laut ihm alles erklärt gewesen und es klingt auf dem Papier wirklich wie ein ekliger und dadurch passender Einstieg. Druckmann befand diesen Anfang aber als zu langweilig, weswegen Mazin sich etwas Neues überlegen musste – und letztlich die Idee zur für mich schlimmsten Szene der ganzen Staffel hatte.
Denn schon vor dem Start durfte ich alle neun Folgen von „The Last of Us“ sehen – die spoilerfreie Kritik von meiner Kollegin Julia und meiner Wenigkeit könnt ihr hier nachlesen – und wirklich keine Szene hinterließ mich mit einem derartigen Gefühl des Grauens wie der Talkshow-Einstieg. Folge 1 bietet uns natürlich noch den schrecklichen, herzzerreißenden Tod von Sarah (Nico Parker) und die anderen Folgen sorgen ihrerseits für einige Highlights. Das Problem ist nur bei vielen davon, dass ich sie durch das Spiel eben bereits kenne, weswegen sie tatsächlich für mich nicht derart niederschmetternd und brutal effektiv waren wie die im Vergleich scheinbar langweilige Talkshow aus dem Jahre 1968.
Dagegen ist Corona noch harmlos
Der ganze Aufbau dieser Sequenz wurde offensichtlich mit der Corona-Pandemie im Hinterkopf gestaltet, die in den letzten Jahren die Welt auf den Kopf stellte, unserer aller Leben (teils nachhaltig) veränderte und bislang über 6,7 Millionen Menschen weltweit das Leben kostete (via New York Times). Wenn der Epidemiologe, den wir in der Szene zuerst hören, also vor den möglichen Auswirkungen eines global wütenden Influenza-Virus warnt, wissen wir genau, wovon er spricht, weil es 2020 unsere gelebte Realität wurde.
Das lässt Dr. Neuman („Die Mumie“-Star John Hannah), den zweiten Epidemiologen in der Talkshow, jedoch kalt. Eine solche Virus-Pandemie, der es ja tatsächlich gelang, unsere Welt zum Stillstand zu bringen, raube ihm keinen Schlaf, wie er unumwunden zugibt. Mit Viren hätten wir schon immer wieder zu tun gehabt, doch die Menschheit konnte sich jedes Mal behaupten, was wir aktuell ja auch bei uns erleben. Er warnt deswegen vor einem viel schlimmeren Epidemie-Auslöser: Pilze.
Den Lacher des Publikums brachte Dr. Neuman im Anschluss gekonnt zum Schweigen, denn er zeichnete ein wahrlich grauenerregendes Bild. Eine Pandemie, ausgelöst von einem parasitären Pilz, der seine Opfer nicht einfach nur tötet, sondern ihr Verhalten kontrolliert und beginnt, sie von Innen heraus zu zersetzen, wobei es den Wirt trotzdem am Leben erhält. Auch allen, die die „The Last of Us“-Spiele nicht konsumiert haben, dürfte bereits hier klar gewesen sein, dass dies tatsächlich schlimmer klingt, als eine Infektion mit einem Virus. Fans des Spiels hatten schon bei dieser schockierenden Skizzierung garantiert eindeutige Eindrücke vor Augen: von den Infizierten, die vom Pilz gesteuert werden und andere Menschen anfallen, um die Infektion zu verbreiten. Und von den unterschiedlichen Stadien der Infizierten, deren Fleisch immer mehr vom Pilz zerstört und durch diesen ersetzt wird, wodurch sie nach Jahren als Menschen praktisch nicht mehr erkennbar sind.
Wenn „The Last of Us“ plötzlich erschreckend real wirkt
Craig Mazin zeigt in dieser Sequenz seine ganze Klasse, die er schon bei „Chernobyl“ zur Schau stellte. Denn ihm gelingt es, nur mit Dialogen ein derart niederschmetterndes, existenziell bedrohlich wirkendes Schreckensbild zu zeichnen, dass ich als Zuschauer völlig davon gefesselt bin und selbst Tage später immer mal wieder an diese grauenvolle Vorstellung denken muss.
Zum Glück ist es aber ja nur ein fiktives Szenario, dass Pilze wie Cordyceps auf den Menschen überspringen… oder? „The Last of Us“ hat leider einen cleveren und ausgesprochen fiesen Weg gefunden, diese Sicherheit auf – zumindest gefühlt – realistische Art zu zerstören. Denn auf den Einwand seines Kollegen, dass solche Pilze in Menschen nicht überleben können, erwiderte Dr. Neuman: Ja, aufgrund der hohen Körpertemperatur von uns Menschen ist das nicht möglich… doch was wäre, wenn die Welt ein paar Temperaturen wärmer werden würde? Was, wenn der Pilz sich weiterentwickeln muss, um zu überleben und hitzeresistenter wird? Dann könnte er auch auf Menschen überspringen.
Das ist einer der Gründe, warum es ein kluger Schachzug war, diese Talkshow im Jahre 1968 anzusiedeln. Für Dr. Neuman ist die Erderwärmung ein eher noch theoretisches Konzept. Für uns im Jahre 2023 ist die Klimakatastrophe hingegen zunehmend spürbar und höhere globale Temperaturen bereits Realität. Sein fiktives Szenario wird für uns also – vermeintlich – realistisch.
Der andere Grund, warum die Eröffnungsszene durch das Jahr, in dem sie spielt, noch beängstigender ist: Sie zeigt dadurch, dass Expert*innen über solche Schreckensszenarien oftmals seit Dekaden Bescheid wissen und sich der grauenvollen Konsequenzen schmerzlich bewusst sind – nur wird präventiv dagegen kaum etwas unternommen; sei es aus Ignoranz der politisch Verantwortlichen oder weil die Menschheit auch schlicht nichts dagegen machen könnte. Und das ist tatsächlich erschreckend real. Der Aufprall eines entsprechend großen Asteroiden auf der Erde hätte beispielsweise grauenvolle Auswirkungen, aber die Menschheit kann (Stand jetzt) praktisch nichts dagegen tun, selbst wenn sie schon Jahre vorher von einem solchen Ereignis wissen würde. Vor den Gefahren einer Virus-Pandemie warnten Expert*innen hingegen tatsächlich seit Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten, doch in entsprechende Hygienekonzepte wurde viel zu wenig investiert und aktuell werden wieder Stimmen lauter, die meinen, wir würden aus dem Coronavirus zu wenig lernen und Gefahr laufen, auf eine erneute Pandemie wieder schlecht vorbereitet zu sein.
Durch dieses Zusammenspiel von fiktiven und realen Geschehnissen entfaltet diese erste Szene von „The Last of Us“ ihre Wirkung: Die Menschheit ist deutlich anfälliger für Katastrophen, die unsere Zivilisation zum Zusammensturz bringen können, als etliche es sich bewusst sind. Entsprechend deprimierend sind die Worte, mit denen uns Dr. Neuman aus diesem Einstieg entlässt und die den Ton der ganzen Serie vorgeben. Auf die Frage des Moderators, was im Fall einer solchen Pilz-Pandemie passiert, antwortet er knapp: „Dann verlieren wir.“