Auch nach Ragnars Tod bleibt seine Präsenz ungebrochen. Die 16. Folge der 4. Staffel thematisiert die Orientierungslosigkeit nach diesem Verlust. Wie geht es weiter? Welchen Lebensinn und welche Mission haben seine Liebsten, jetzt wo Ragnar nicht mehr da ist?
Der Tod der Hauptfigur ist immer riskant. Viele Serien verlieren danach ihren Reiz und schlagen einen unaufhaltsamen Abstieg ein. „Vikings“ soll diesem Schicksal entgehen, denn Showrunner Michael Hirst wollte nie nur die Geschichte eines Mannes erzählen, sondern die faszinierende und fremde Welt der Wikinger zum Leben erwecken. Inwiefern ihm das gelungen ist, erfahrt ihr in der Review.
Lagertha und Ivar: Zwischen Triumph und Untergang
Lagertha (Katheryn Winnick) ist am Zenit ihrer Macht angekommen. Mit tosendem Applaus wird die strahlende Königin begrüßt, die ihre Pläne zur Befestigung von Kattegat vorstellt. Nur einer stört dieses Bild. Ivar (Alex Høgh Andersen) schleppt sich mit Pflöcken durch den Thronsaal und fordert Lagertha zum Zweikampf auf Leben und Tod heraus. Aus Mitleid mit dem Krüppel verweigert sich Lagertha dem Duell.
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Ob das so eine gute Entscheidung war? Im Zweikampf hätte sie zumindest gewusst, was auf sie zukommt. So muss sie in ewiger Angst davor leben, aus dem Hinterhalt getötet zu werden. Und wie wir so schön wissen, sollte man Ivar nie unterschätzen. Auch Lagertha scheint das zu ahnen und stattet dem Seher einen Besuch ab. „Werden mich Ragnars Söhne töten?“, „Ja“, antwortet er lakonisch. Lagerthas Schicksal ist also besiegelt, doch wann wird sie sterben?
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Derweil leidet Ivar unter dem Verlust seiner Eltern. Es ist schon erbarmungswürdig, wie er einsam und verlassen auf einem Fels seine Trauer herausschreit. Trotz der furchterregenden Fassade bleibt Ivar ein Kind, das nun zu schnell Erwachsen werden muss. Statt sich mit seinen Brüdern Ubbe (Jordan Patrick Smith) und Sigurd (David Lindström) zu verbünden, wetzt er lieber im stillen Kämmerlein sein Messer. Dabei sagt mir irgendwas, dass der „Feigling“ Ubbe noch einen gewitzten Racheplan in der Hinterhand hat.
Floki und Bjorn: Neue Welten, alte Bräuche
Während Lagertha das Machtvakuum in Kattegat stopft, sind bei Bjorn (Alexander Ludwig) die Fronten nicht so klar. Die Schiffe geraten in einen dichten Nebel und König Harald (Peter Franzén) zweifelt Bjorns Führungskompetenzen an: „Ich frage mich, ob Bjorn so verflucht ist wie sein Vater.“ Und auch wenn die Mannschaft schließlich in Spanien ankommt, der Zweifel bleibt. Kann Bjorn in Ragnars Fußstapfen treten und eine ähnlich große Strahlkraft entwickeln?
Auch der sonst so enthusiastische Floki (Gustaf Skarsgård) wirkt verloren: “Ich weiß nicht mehr, wer ich bin, warum ich hier bin. Was ist mein Sinn? Ich fühle mich wie ein leeres Gefäß. Ich brauche etwas, dass mich erfüllt“. Als Helga (Maude Hirst) ihm vorschlägt, ein weiteres Kind zu zeugen, lehnt er brüsk ab. Weltliche Belange scheinen Floki nicht mehr zu interessieren.
Die Männer fallen schließlich in eine muslimische Siedlung ein. Während sie die wehrlose Bevölkerung abmetzeln, fragt man sich: Wozu das ganze? Bei allem bewundernswerten Entdeckergeist - das Ziel der Wikinger ist es nicht fremde Kulturen zu erforschen, sondern zu plündern und durch ihre Raubzüge die Macht in der Heimat zu stärken. Auch wenn „Vikings“ uns zwingt, mit den Charakteren mitzufiebern, haben sie eine sehr grausame Seite, die uns nur befremden kann. Es ist ein großer Pluspunkt der Serie, dass sie auf diesem schmalen Grad zwischen Sympathie und Abscheu wandelt, ohne die Bräuche der Wikinger weichzuspülen.
Am interessantesten sind diesmal nicht die Kämpfe, sondern wie unterschiedlich die Wikinger auf die exotische Welt des Orients reagieren. Bjorn treibt seine Männer etwas lustlos durch die Stadt. Im Vergleich zu Ragnar fehlt ihm das Funkeln in den Augen, die pure Freude an der Eroberung. Sein kleiner Bruder Hvitserk (Marco Ilsø) ist wiederum verzückt und läuft mit jugendlicher Gier durch die Straßen.
Als Floki den Gesang aus einem Minarett vernimmt, ist er tief erschüttert. Das Treiben in einer Moschee bringt ihn dann komplett aus der Fassung. Die Männer haben sich ins Gotteshaus geflüchtet und beten mit solch einer Inbrunst, dass sie sogar die blutrünstigen Wikinger ignorieren. Als Floki sieht, dass sie noch nicht mal ein Abbild von ihrem Gott haben, verbietet er seinen Kameraden, die Männer zu töten. Welche Auswirkungen der Islam auf Floki haben wird, ist noch nicht abzusehen. Es scheint aber, dass diese Begegnung ihn endgültig verändern wird.
Für Ablenkung ist bald gesorgt, denn die Männer stoßen auf einen Harem. Nun können sie sich nach Lust und Laune austoben und vergewaltigen. Die Frauen werden als Beute auf die Schiffe zurückgebracht, wobei Bjorn vieldeutige Blicke mit einer Dame wechselt, während Helga ein kleines Waisenmädchen „adoptiert“ und den endgültigen Bruch mit Floki provoziert. Dabei haben die Wikinger auffällig wenig Widerstand bekommen. Doch das wird sicher nicht so bleiben. Das muslimische Reich ist nicht gerade für schwachen Kampfesmut bekannt.
Folge 16 Fazit: Ragnar lebt weiter!
Nach der erfolgreichen Plünderung schaut Bjorn hoffnungsvoll auf die Weiten des Mittelmeers. Raben kreisen durch die Lüfte und dann erscheint Odin höchstpersönlich in der Gestalt eines einäugigen Mannes, der schon in Episode 15 aufgetreten ist. Dabei hallen Ragnars Worte nach: „Wie die kleinen Schweine grunzen werden, wenn sie erfahren, dass ihr alter Bär gelitten hat.“ Bjorn weiß sofort, dass Ragnar tot ist. Nun muss er eine Entscheidung treffen: Die Abenteuer fortsetzen oder den Tod seines Vaters rächen.
Auch Lagertha, die ihren Ex-Mann noch immer liebt, wird nachts von Ragnars Geist heimgesucht, während Odin die Söhne aufsucht. Eins ist klar, Ragnar wird in seinen Liebsten weiterleben und ihre Schritte auch in den kommenden Folgen beeinflussen. Dabei ist es richtig, dass sein Tod nicht unter den Teppich gekehrt, sondern die tiefgreifenden Veränderungen verdeutlicht werden. Die Art und Weise, wie das gelöst wird, ist aber nicht ganz gelungen. Die fantastische Ebene von „Vikings“ war immer eine Schwachstelle der Serie. Es ist wirkungsvoller, die Existenz der Götter im Dunklen zu lassen, statt sie direkt zu zeigen. Falls die Leere durch Ragnars Tod durch mehr Pathos und Fantasy gestopft wird, wäre das bedauerlich.
Kommen wir zurück zu der großen Frage vom Anfang. Schafft es „Vikings“ ohne Ragnar spannend zu bleiben? Die Antwort ist „Jaein“. Bjorn bleibt blaß und wird nur durch die exotischen Entdeckungen und Flokis Präsenz aufgewertet - nach Ragnars Tod eine der interessantesten Figuren der Serie. Ivar hat das nötige Charisma, um das Erbe Ragnars anzutreten. Doch bis er zum Mann wird, ist es noch ein langer Weg. Lagertha gehörte früher zu den spannendsten Charakteren, als Königin von Kattegat ist die Figur jedoch in einer Sackgasse gelandet.
Natürlich ist es noch zu früh, um zu sagen, wie sich „Vikings“ weiterentwickelt. Eine komplette Katastrophe ist Ragnars Ableben noch nicht. Doch die kommenden Geschichten müssen uns genauso fesseln wie früher und eine faszinierende Hauptfigur etablieren. Spätestens zum Finale der 4. Staffel wissen wir, ob diese Rechnung aufgeht.
Die Preview zur 17. Folge von „Vikings“ verrät schonmal, dass Ivar und Ubbe eine große Armee versammeln, während Lagertha sich vor der drohenden Rache in Acht nimmt und Floki und Rollo in eine Auseinandersetzung geraten.