Die RTL2-Serie wirkt vor allem dank Hauptdarstellerin Lisa-Marie Koroll wie das authentisch verfilmte Tagebuch eines Teenagers.
Schlicht „Scham“ („Skam“) heißt eine norwegische Jugendserie, die vor vier Jahren große Wellen geschlagen hat. Mehrere europäische Sender haben umgehend eigene Adaptionen in Auftrag gegeben, darunter auch Funk, das junge Online-Angebot von ARD und ZDF. Die deutsche Variante, „Druck“, ist im vergangenen Jahr als Webserie gestartet; derzeit zeigt Funk bereits die dritte Staffel. Auf den ersten Blick ist die hektische Betriebsamkeit, die „Skam“ ausgelöst hat, nur bedingt nachzuvollziehen: Die Serie handelt von der ersten große Liebe einer 16jährigen Schülerin. Neu war allerdings die fast dokumentarische Machart. Nun springt auch RTL2 auf diesen Zug: „Wir sind jetzt“, vom Sender als „Young Fiction“ deklariert, ist durch „Skam“ mindestens inspiriert worden, denn die Parallelen sind unverkennbar. Hauptfigur der vierteiligen Serie ist die 17jährige Laura (Lisa-Marie Koroll), die mit ihren Freundinnen Zoe und Julia (Soma Pysall, Gina Stiebitz) ein ganz normales Teenager-Dasein zwischen Schule, Chillen und Party führt. Lauras erste große Liebe ist Schulschwarm Olli (Justus Czaja), und alles wäre nahezu perfekt, wenn es da nicht noch Daniel (Gustav Schmidt) gäbe. Daniel ist seit fünf Jahren Lauras bester Freund, mit ihm kann sie über alles reden. Die beiden lieben sich wie Geschwister; bis ihre Zuneigung eines Tages nicht mehr nur platonisch ist und ein Kuss fatale Konsequenzen hat.
Ähnlich wie „Skam“ und „Druck“ lebt auch „Wir sind jetzt“ von der Unmittelbarkeit. Die Kamera (René Gorski) ist stets ganz nah an den Figuren, was fast zwangsläufig und nicht nur räumlich zu großer Nähe führt. Abgesehen von der Unordnung der Gefühle geht es in den Folgen um ganz normale Geschichten aus der Kategorie „Es ist nicht leicht, jung zu sein“ (Buch: Burkhardt Wunderlich): Auf jede Party folgt ein Kater; und manchmal auch ein Filmriss. Im Unterschied etwa zu den Daily Soaps wirken die kleinen und großen Dramen allerdings nie künstlich aufgebauscht. Der Eindruck der Authentizität entsteht nicht zuletzt durch die Alltäglichkeit, weil gerade die Mädchen ständig via Smartphone miteinander kommunizieren. Gerade in den ersten beiden Folgen sorgt altersgerechte Popmusik für das passende Lebensgefühl. Filmmusik spielt erst dann eine entscheidende Rolle, als die Stimmung in der dritten Episode komplett kippt.
Die große Stärke der Serie ist jedoch die Arbeit von Regisseur Christian Klandt mit seinem Ensemble. Das gilt vor allem für Hauptdarstellerin Lisa-Marie Koroll, die ohnehin als große Entdeckung gefeiert werden müsste, wenn sie nicht schon längst ein alter Hase wäre („
Bibi & Tina„). Die Natürlichkeit, mit der sie Laura verkörpert, ist verblüffend und hat großen Anteil daran, dass „Wir sind jetzt“ tatsächlich wie das authentisch verfilmte Sommertagebuch eines Teenagers wirkt, zumal regelmäßig Wochentag und Uhrzeit eingeblendet werden (auch das eine Parallele zu „Skam“ und „Druck“). Deshalb erwecken die Folgen zunächst den Anschein, als würden bloß Momentaufnahmen aneinandergereiht: die Freundinnen beim TikTok, am Badesee, beim Vorglühen und schließlich im Club. Trotzdem lässt sich eine Dramaturgie erkennen, die sich jedoch eher hintergründig entwickelt; die Schlussszenen der weiteren Folgen haben allerdings durchaus Cliffhanger-Potenzial. Die weiteren Mitglieder des Ensembles sind ebenfalls keine Neulinge, haben aber bei Weitem nicht die gleiche Erfahrung wie Koroll. Auch sie sind von Klandt derart vorzüglich geführt worden, dass es nur in kleinen Nebenrollen kurze Momente der Irritation gibt; das ist bei derart jungen Darstellern sehr ungewöhnlich. tpg.