Anzeige
Anzeige
  1. Kino.de
  2. Serien
  3. Yellowstone
  4. News
  5. „Yellowstone“ und die Renaissance des Westerns: Warum wir endlich umdenken müssen

„Yellowstone“ und die Renaissance des Westerns: Warum wir endlich umdenken müssen

„Yellowstone“ und die Renaissance des Westerns: Warum wir endlich umdenken müssen
© IMAGO / Capital Pictures / Cam McLeod

Western feiern mit Serien wie „Yellowstone“ und „American Primeval“ ein großes Comeback. Doch was viele als spannendes Entertainment feiern, stößt bei mir auf Unverständnis – und das hat nichts mit der Qualität zu tun.

Erfahre mehr zu unseren Affiliate-Links
Wenn du über diese Links einkaufst, erhalten wir eine Provision, die unsere redaktionelle Arbeit unterstützt. Der Preis für dich bleibt dabei unverändert. Diese Affiliate-Links sind durch ein Symbol gekennzeichnet.  Mehr erfahren.

– Dieser Artikel spiegelt die Meinung der Autorin und nicht die der gesamten kino.de-Redaktion –

Wer eine Kindheit in den 1970er- und 80er-Jahren verbracht hat, wie zum Beispiel ich, kam um das Genre Western nicht herum. Das serielle Töten von Menschen war für uns normal, Gewalt gehörte dazu, wer stört oder andere Ziele verfolgt, wird weggeballert.

Anzeige

Es wunderte daher nicht, dass meine Generation in den 90er-Jahren Fanclubs für Serienkiller wie Ed Gein gründete und T-Shirts trug, auf denen zu lesen war „Serial killing is not a crime“. Für mich wiederholt sich das alles jetzt. Die Renaissance des Western und auch das extreme Interesse für Serienkiller ist neu entfacht, vor allem Netflix sei Dank.

Was mich aber wirklich vor Wut schäumen lässt und betroffen macht, ist die neue Kultivierung und das kollektive Abfeiern einer schon immer falsch erzählten Geschichte und die damit einhergehende Ignoranz gegenüber einem kleinen Teil der Weltbevölkerung, dem wir meines Erachtens eine Menge Respekt, Empathie und Unterstützung bis heute schuldig geblieben sind.

Das weiße Narrativ sichern: Warum ich den Hype um das Taylor-Sheridan-Universum höchst problematisch finde

Mir geht es im Folgenden aber weniger um den Aspekt der unreflektierten Verherrlichung von Gewalt und der damit einhergehenden Negierung der Opferschicksale, sondern um die Fortführung und erneute Normalisierung kolonialistischer Perspektiven in aktuellen Produktionen wie dem sehr populären „Yellowstone“-Universum.

Zwar hat Hollywood in den letzten Jahrzehnten langsam dazugelernt und ist zunehmend um Authentizität bemüht, wenn es um die Darstellung von Native Americans geht, verharrt aber dennoch im beliebten weißen Narrativ der Siedler*innen, die ein unberührtes Land erschlossen, sich den Naturgewalten stellten, Entbehrungen aushielten, enorme Leistungen vollbrachten und sich zu allem Überfluss auch noch gegen Angriffe von „Wilden“ wehren mussten.

Zeit für einen Wechsel der Perspektive?

Der Landung der sogenannten Pilgerväter in Massachusetts 1621 wird heute immer noch mit dem „Thanksgiving“-Fest in den USA gedacht und der Mythos, dass sie ihre Ernte mit der indigenen Bevölkerung geteilt hätten, aufrechterhalten. Für die einen wichtiger traditioneller Feiertag, für die anderen ein Tag der Trauer, umbenannt in „Thankstaking“, was die damalige Faktenlage wesentlich besser trifft.

Anzeige

Diese andere Geschichte zu erzählen, nämlich die der Siedler*innen, die das erste Jahr ohne die Hilfe der vorhandenen, einheimischen Bevölkerung nicht überlebt hätten und zum Dank die Pocken mitbrachten, besteht aber in der weißen Filmwelt nicht. Sheridan, Costner und Co. wollen die Kontrolle über die (weiße) Darstellung der damaligen Zustände sichern, die Erzählung über Natives ist in diesen Neo-Western entsprechend manipulativ.

Die Frauen zeigt man vorzugsweise als Opfer blutiger Gewalt und Vergewaltigungen, die Männer als Krieger mit brutalen Methoden, die letztlich auch nur Macht, Geld und Land wollen. Nordamerika ist in dieser Erzählung eine Art unbeschriebenes Blatt, in dem Natives und Siedler*innen gleichermaßen um Macht und Existenz ringen.

Die meisten werden wissen, dass dem nicht so war. Die meisten werden wissen, dass die Siedler*innen damals auf über 500 Nationen trafen, die ihre eigenen Territorien hatten, ihre eigene Sprache, ihre eigene Kultur und Religion, Zivilisation also und keine „Wilden“.

Western-Hype: Reaktionäres Weltbild statt Dekolonialisierung

Eigentlich sollten wir einen Blick in das moderne „Indian Country“ werfen und verstehen, dass es junge Menschen gibt, die als Nachfahren stets und ständig mit diesen kolonialen, reaktionären Erzählungen konfrontiert werden. Bis in die 1970er Jahre wurden Kinder ihren Familien von der US-Regierung entrissen und in den „Indian Boarding Schools“ vom Staat erzogen. Die Opfer dieses unmenschlichen Systems sind die Eltern und Großeltern der heutigen Kinder.

Anzeige

Während wir also im TV und Stream die Spannung, die schöne Landschaft, die glorifizierenden Siedler*innendarstellungen, die authentischen „Indianer“ und die raue Gewalt genießen können, sind da Jugendliche und Erwachsene, deren kollektives Trauma und vor allem deren aktuelle gesellschaftliche Benachteiligung nicht gesehen wird. Würde man das tun, wüsste man beispielsweise, dass die Suizidrate unter Teenagern in bestimmten Reservaten zweieinhalbmal so hoch ist, wie im restlichen Bevölkerungsdurchschnitt der USA.

In diesem Kontext empfinde ich persönlich nichts als Scham für die Gesellschaft, in der ich lebe und die Serien wie „American Primeval“ oder „Yellowstone“ auf Platz 1 in den Netflix-Charts feiert. Ich würde mir wünschen, dass wir den Hype und das Genre Western mehr hinterfragen und dabei nicht nur unsere eigene Bespaßung im Blick haben.

Ich empfehle zum Abschluss einen Artikel zum Thema von Liza Black, eine Cherokee, die mit Kevin Costner die Highschool besucht hat und schließe mit einem Zitat daraus:

„Die Wurzel allen Übels von ‚Yellowstone‘ – der Gewalt, der kolonisierten Beziehungen zu Montana, dem Casting-Skandal, der Auslöschung der indigenen Geschichte, obwohl diese auch indigene Völker einbezieht – ist der klare Wunsch von Sheridan, Costner, Paramount und Hollywood selbst, die Kontrolle über die etablierte Erzählung zu behalten, die sie seit über einem Jahrhundert über Indian Country bieten. Was Sheridan und ‚Yellowstone‘ als nuancierte, aber ungeschminkte Version des Neo-Westerns verkaufen wollen, ist in Wirklichkeit eine fade Wiederholung desselben Schwachsinns, den Costner schon vor drei Jahrzehnten verbreitete. Sheridan stellt lediglich eine Fortsetzung derselben Kontrollgier dar. Der Versuch, mit Costner, Sheridan oder ‚Yellowstone‘ auch nur ein Hühnchen zu rupfen, ist nahezu vergeblich. Letztendlich ist das Streben nach Macht mit allen Mitteln alles, was sie sehen und geben. Angesichts einer langen Reihe weißer Männer, die bereit sind, ihr Evangelium zu verbreiten, werden indigene Zuschauer wie ich für immer vom Geist Costners heimgesucht werden.“

Es ist an der Zeit, dass wir die romantisierte Erzählung des Westens hinterfragen und stattdessen auf die wahren Geschichten der indigenen Bevölkerung hören. Nur so können wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen.

Anzeige