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„Sandman“: Warum ich Netflix' Umgang mit dem Gaiman-Skandal höchst fragwürdig finde

„Sandman“: Warum ich Netflix' Umgang mit dem Gaiman-Skandal höchst fragwürdig finde
© IMAGO / Landmark Media

Ich bin ein großer Fan des Werks von Neil Gaiman und entsprechend schockiert. Wie Netflix mit der Sache umgeht, macht mich unzufrieden, hier steht, warum.

– Dieser Artikel spiegelt die Meinung der Autorin wider und entspricht nicht notwendigerweise den Ansichten der gesamten kino.de-Redaktion –

Die schweren Vorwürfe von inzwischen fünf Frauen gegen den Autor und Showrunner Neil Gaiman wegen sexuellen Missbrauchs sind noch keineswegs erwiesen, aber sie stehen im Raum. Gaiman selbst wehrt sich dagegen. Zwar räumt er ein, dass es sexuelle Kontakte gab, sagt aber, diese seien einvernehmlich gewesen. Dass er mit der 40 Jahre jüngeren Nanny seines Kindes schon am ersten Arbeitstag abends knutschend in der Badewanne landete, weist aber immerhin auf einen merkwürdigen Umgang mit Abhängigkeitsverhältnissen hin. Mir geht es nicht darum, dies moralisch zu werten und natürlich gilt die Unschuldsvermutung so lange nichts bewiesen ist.

Klare Positionierungen sind wichtig und zollen den Betroffenen den nötigen Respekt

Fest steht allerdings, dass sich zunächst zwei Frauen und später noch weitere drei klar mit Vorwürfen an Gaiman an die Öffentlichkeit gewandt haben und es die Pflicht der Öffentlichkeit ist, darauf angemessen zu reagieren. Amazon hat dies getan, indem sie die Produktion der dritten Staffel „Good Omens“ pausiert haben, Disney hat ebenfalls die Adaption von Gaimans Buch „The Graveyard Book“ gestoppt. Das sind für mich nachvollziehbare Reaktionen, die den betroffenen Frauen Gehör geben und deutlich machen, dass man bereit ist, Konsequenzen zu ziehen, um ein Zeichen gegen patriarchalen Machtmissbrauch zu setzen.

Es geht nicht um Gaiman, es geht um die Frauen

Das ist besonders wichtig, weil Gaiman eine große Fangemeinde hat, zu der ich selbst seit Jahrzehnten gehöre. Wenn wir Menschen auf ein sehr hohes Podest gehoben haben und sie nicht so unsympathisch sind wie Harvey Weinstein, dann fällt es uns schwer, sie als das zu sehen, was sie sind: ganz normale fehlbare Menschen. Und auch, wenn sich jemand in seiner gesamten Karriere sozial engagiert hat, für queere Rechte eingetreten ist und auch sonst sehr viele liebenswerte Dinge getan hat, kann es sein, dass er Handlungen vollzieht, die nicht zu dulden sind. Die betroffenen Frauen haben keine große Fangemeinde und kein großes Vermögen, sie sind leicht zu verdrängen, weil man seine Helden bewahren will.

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Genau deswegen ist es wichtig, dass Institutionen und Personen des öffentlichen Lebens sich klar positionieren, sie können die Frauen unterstützen, zeigen, dass sie gehört und gesehen werden, dass das, was ihnen geschah, gesellschaftlich nicht akzeptiert wird.

Netflix: Ignoranz oder Kalkül?

In meinen Augen macht sich Netflix die Sache zu einfach. Zwar wurde die Spin-off-Serie „Dead Boy Detectives“ abgesetzt, allerdings ist bis jetzt unklar, ob dies den Vorwürfen gegen Gaiman geschuldet war oder einfach nur den schlechten Aufrufzahlen oder ein bisschen von beidem hinter der Entscheidung lag. In der Geeked Week hat Netflix mehrere Produktionen vorgestellt und unter anderem auch ein „Behind the Scenes“-Video zu „Sandman“ gezeigt. In der dazugehörigen Presseerklärung ist zu lesen: „Die Serie wurde von Neil Gaiman entwickelt, der auch als ausführender Produzent fungiert“. Kein Wort darüber, ob die Zusammenarbeit dieser Art noch weiter besteht, Gaiman seine Tätigkeit pausiert oder wie der Streaming-Anbieter sich die weitere Zukunft vorstellt.

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Setting, Kostüme, alles sehr vielversprechend, wie ihr im Video sehen könnt. Ich hab mich sehr auf die Fortsetzung gefreut, aber unter diesen Umständen ist das alles jetzt recht schmerzhaft:

Nochmal: Es geht mir nicht darum, Gaiman vorzuverurteilen, sondern nur darum, die Vorwürfe gegen ihn ernst zunehmen und deutliche Konsequenzen daraus zu ziehen. Das hat mit canceln nichts zu tun, sondern mit Respekt für die Betroffenen. Daher hätte ich mir gewünscht, dass man zumindest ein klares Statement aussendet, statt einfach so zu tun, als wäre nichts geschehen. So hätte man zum Beispiel den Start der zweiten Staffel bis auf Weiteres aussetzen oder das Format bei der Geeked Week unerwähnt lassen können. So bleibt für mich der Eindruck, dass man einfach darüber hinwegsieht, weil die Produktion schon so weit vorangeschritten ist.

Wir wünschen uns so sehr, dass nichts davon wahr ist und das ist falsch

Wie bereits erwähnt, ich liebe das Werk von Neil Gaiman, ich bewundere ihn, was er sagt und was er macht, schon sehr lange Zeit. Die Vorwürfe, die im Juli 2024 aufgrund eines Podcasts öffentlich wurden und weitere Vorwürfe nach sich zogen, haben mich zutiefst geschockt und unglücklich gemacht. Und der normale Reflex in diesen Situationen ist, sich zu wünschen, dass die Frauen nicht die Wahrheit sprechen und sich alles als haltlos erweist. Das Problem an dieser Haltung ist, dass man den betroffenen Menschen damit tiefes Unrecht antut. Deswegen müssen wir unsere Gefühle reflektieren und vor allem damit aufhören, prominente Personen, deren Werk uns berührt, auf den Sockel der Unfehlbarkeit zu stellen. Dabei können uns auch Streaming-Anbieter helfen, die mit gutem Beispiel vorangehen und sich von, vielleicht auch nur vermeintlichen, Tätern distanzieren, bis deren Unschuld erwiesen ist.

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Zum Schluss möchte ich noch betonen, dass nicht Neil Gaiman persönlich das Problem ist. Er ist einer von vielen, vorwiegend Männern, die ihre Macht und Position für sexuelle Zwecke ausgenutzt haben. Es sind gesellschaftliche, strukturelle Ungleichheiten der Geschlechter, die ihnen das ermöglichen und sie in den meisten Fällen damit davonkommen lassen. Daran muss sich etwas ändern und darum müssen wir darüber sprechen.

Wenn ich euch wütend gemacht habe mit meiner Meinung und ihr eine andere habt, schreibt mir gerne, denn sie interessiert mich.

Neil Gaiman hat Amazon angeboten, von seinen Verantwortlichkeiten bei der dritten Staffel „Good Omens“ zurückzutreten, damit die Produktion weitergehen kann. Das ist kein Schuldeingeständnis, sondern eine solidarische Geste gegenüber dem Team. Es wird sich zeigen, wie Amazon darauf reagiert. Wenn ihr die Serie geschaut habt, könnt ihr zur Entspannung von meinen harschen Worten dieses Quiz hier lösen:

„Good Omens“-Quiz: Wie gut kennst du die Fantasy-Komödie?

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